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BGH-Vorschau: Keine Grundsatzentscheidung zu Abstracts?
*** UPDATE 27.09.2010, 13:59 Uhr - BGH vertagt erneut!
Wie soeben bekannt wurde, hat der Bundesgerichtshof die Urteilsverkündung erneut, diesmal auf den 01.12.2010, verlegt (BGH-Terminvorschau, Hinweis auf Perlentaucher.de).***
Am kommenden Donnerstag (9 Uhr) wird der Bundesgerichtshof das Urteil im Fall Perlentaucher.de verkünden. Ein Ende des Rechtsstreits könnte damit aber auch nach über fünf Jahren Verfahrensdauer immer noch nicht erreicht sein (Prozesschronik bei Perlentaucher.de). Nach der mündlichen Hauptverhandlung am 15.07.2010 (IUWIS-Report hier) erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass die Bundesrichter in Karlsruhe den Fall in einer Art „Light“-Version an das Berufungsgericht zurückverweisen.
Zeitungsverlage wollen Geschäftsmodell des Perlentauchers kippen
Worum geht es? Die Zeitungsverlage wollen mit ihrer Klage in erster Linie einen Kernbestandteil des Geschäftsmodells von Perlentaucher.de als solches bekämpfen. Perlentaucher.de fasst seit zehn Jahren Buchkritiken aus Tageszeitungen in einigen wenigen Zeilen zusammen und lizenziert diese entgeltlich an Internetbuchshops wie Amazon oder Buecher.de. Laut Klageschrift der F.A.Z. und SZ gibt der Perlentaucher mit seinen Abstracts „den Inhalt der Ursprungskritik durch Übernahme von Originaltextstellen wieder“ und reiht Originaltextstellen „lediglich durch Füllwörter bzw. Satzteile aneinander“.
BGH in Hauptverhandlung: Abstracts nicht über einen Kamm scheren
Der zuständige Erste Zivilsenat am Bundesgerichtshof hegt anscheinend jedoch massive Zweifel daran, ob eine Klage, die die Geschäftspraxis von Perlentaucher.de kippen würde, überhaupt zulässig ist. Die Zusammenfassungen sind nämlich unterschiedlich eng an die Buchrezensionen der F.A.Z. und der SZ angelehnt. „Es erscheint uns schwierig, das über einen Kamm zu scheren“, erklärte der Vorsitzende Richter Joachim Bornkamm in der öffentlichen Hauptverhandlung und fügte an: „Es kommt vielleicht ganz stark auf den Einzelfall an.“ Wegen mangelnder Vergleichbarkeit könnte somit eine pauschale Beurteilung und ggf. Untersagung der Perlentaucher-Abstracts nicht erfolgen.
Berufungsgericht würde nur zehn konkrete Abstracts beurteilen
Die Problematik erkennen offenkundig auch die Rechtsanwälte der klagenden Zeitungsverlage: Neben dem Hauptantrag haben sie bei Gericht vorsorglich gleich drei abgeschwächte Hilfsanträge eingereicht. Prozessbeobachter rechnen damit, dass der Bundesgerichtshof den Hauptantrag ablehnt. Verbleiben würden dann die zehn in den Hilfsanträgen angeführten Abstracts. Gegenüber den Rechtsanwälten der Tageszeitungen deutete der Vorsitzende Richter Bornkamm in der Hauptverhandlung bereits an, „möglicherweise letztlich nur mit der konkreten Verletzungsform durchzukommen.“ Inwieweit die zehn Buchrezensions-Abstracts jeweils in ihrer unterschiedlichen konkreten Ausgestaltung eine Urheberrechtsverletzung darlegen, müsste dann das Oberlandesgericht Frankfurt als Berufungsinstanz klären. Das Schlussurteil würde dann keine rechtliche Bindung über die zehn konkreten Einzelfälle hinaus entfalten.
Abstracts zwischen urheberrechtlichen Grundprinzipien
Der Fall Perlentaucher.de dient als lebendiges Beispiel der tragenden Fundamente des Urheberrechts: Geschützt wird die Form, nicht der Inhalt. Selbst brillante Lösungen sind an sich nicht urheberrechtlich geschützt. Sind Ideen, Eindrücke und Konzepte erst einmal veröffentlicht, können sie in eigenen Worten aufgegriffen und für Beiträge weiterverwendet werden. Auf der anderen Seite verschwieg der Vorsitzende Richter Bornkamm nicht sein Unbehagen, wenn Perlentauche.de für die Vermarktung rhetorisch einzigartige Kernformulierungen abschöpfe. Der Urheber muss prinzipiell an der wirtschaftlichen Verwertung seines Werkes angemessen beteiligt werden.
Zitatregeln immer eingehalten?
Ein weiterer Streitpunkt entzündet sich daran, wie genau es Perlentaucher.de mit den Zitierregeln nimmt. Die Tageszeitungen beanstanden, dass Perlentaucher.de wörtliche Übernahmen nicht immer mit Anführungszeichen versehen habe. Im Übrigen, so der weitere Vorwurf, fehle es den Perlentaucher-Kurzbeschreibungen „an jeder Selbständigkeit des zitierenden Werkes“ sowie an einer geistigen Auseinandersetzung mit den Originalrezensionen. „Nur ein Extremfall“ sei herausgenommen worden, entgegnete der Rechtsanwalt des beklagten Perlentaucher.de in Karlsruhe. Im Übrigen handle es sich um „Inhaltswiedergaben mit umfangreicher Zitierweise in eigenschöpferischer Form.“
Demnächst gesetzliche Verschärfung durch Leistungsschutzrecht für Presseverlage?
Dieser Rechtsstreit zweier führender Tageszeitungen erhält zusätzliche Brisanz durch die aktuelle Debatte um ein neues Leistungsschutzrecht für Presseverlage. Demnach könnten zukünftig auch einzelne Passagen aus Pressetexten wie etwa Überschriften nur mit Zustimmung der Verlage weiterverwendet werden. Es ist in diesem Zusammenhang daher durchaus bemerkenswert, dass die Zeitungsverlage nicht gegen die Zusammenfassungen des Perlentauchers an sich vorgehen, sondern sich auf die Unterbindung der kommerziellen Weiterverwertung der Perlentaucher-Abstracts an die Buchhändler beschränken.
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