IUWIS Workshop 2011
IUWIS ist angesiedelt am Institut für Bibliotheks- und Informations-
wissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin.
Ein bedenkenswerter Vorschlag der SPD zugunsten eines Zweitverwertungsrechts im Urheberrecht
Zusammenfassung: Die SPD ist auf der Linie des Bundesrates und der Allianz der Wissenschaftsorganisationen und macht einen Normvorschlag über einen neuen § 38a zugunsten eines nicht abhandelbaren Zweitverwertungsrechts von WissenschaftlerInnen bei Werken, die überwiegend durch öffentliche Förderung im öffentlichen Kontext entstanden sind. Insgesamt ein konstruktiver Beitrag der SPD-Bundestagsfraktion und genau zum richtigen Zeitpunkt in der Phase des Dritten Korbs oder sogar unabhängig von diesem. Man darf gespannt sein, ob die Bundesregierung bzw. das BMJ dies aufgreift bzw. in dem erwarteten Referentenentwurf einen Schritt in Richtung des Zweitverwertungs- bzw. des Zweitveröffentlichungsrechts macht.
Der SPD-Bundestagsfraktion geht es bei diesem Beschluss (Text des Normvorschlags hier am Ende), nicht um eine (an sich dringend erforderliche) grundlegende Reform des Urheberrechts, sondern um ein Problem, das zunächst wenig bedeutsam erscheint, nämlich um die Einführung eines neuen Paragraphen im Urhebervertragsrechts, der das sogenannte Zweitverwertungsrecht regeln soll. Was ist das? Es ist das Recht der Autoren, nach einer gewissen Frist (Embargo-Frist genannt) zur kommerziellen Erstpublikation bei einem Verlag oder sogar zeitgleich zu dieser wieder über ihr Werk verfügen zu können.
Sprengstoff
Der Schein trügt – in der Debatte um das Zweitverwertungsrecht steckt einiger Sprengstoff. Das harmlos sich anhörende Zweitverwertungsrecht wird in den heftigen öffentlichen Debatten darüber in die Nähe von gewichtigen Grundrechten und Prinzipien wie Wissenschaftsfreiheit, geistiges Eigentum, Sozialpflichtigkeit von Eigentum, Funktionsfähigkeit der wissenschaftlichen Fachkommunikation bzw. der Informationsmärkte gerückt. Auf der einen Seite wird das Zweitverwertungsrecht als Gefährdung dieser Rechte und Prinzipien angegriffen, auf der anderen Seite als deren Bekräftigung.
Im Zweiten Korb dagegen
Die damalige Bundesregierung hatte das, was die SPD, weitgehend in Übereinstimmung mit einem Vorschlag des Bundesrates von 2006, jetzt vorschlägt, aus verfassungs- und europarechtlichen Gründen 2007 abgelehnt wurde. Ebenso wurde damals eine Gefahr gesehen, dass deutschen WissenschaftlerInnen Nachteile entstehen könnten, wenn die großen internationalen Verlage ein zwingendes Zweitverwertungsrecht der Autoren nicht akzeptieren würden.
Was will die SPD-Fraktion jetzt erreichen?
Zunächst einmal, was längst zur Klarstellung fällig ist, dass durch ein Zweitverwertungsrecht die AutorInnen nicht nur (wie bislang in § 38 UrhG) die Rechte des Vervielfältigens und Verbreitens, sondern auch das Recht der öffentliche Zugänglichmachung, also das Öffentlichmachen im Online-Medium, wiedergewönnen. Die bislang in § 38 UrhG vorgesehene Embargofrist von 12 Monaten soll i.d.R. auf 6 Monate (bei Sammelwerken auf 12 Monate) verkürzt werden. Ein Nullembargo ist aber auch nicht ausgeschlossen. Eine Erweiterung gegenüber dem damaligen Bundesratsvorschlag, aber in Einvernehmen mit dem Vorschlag der Allianz der Wissenschaftsorganisationen liegt darin, dass die SPD die öffentliche Zugänglichmachung „in der Formatierung der Erstveröffentlichung“ für erforderlich hält. Das wird, neben anderem, den Protest des Börsenvereins provozieren, auch wenn die SPD die Referenzierungsverpflichtung auf die kommerzielle Erstveröffentlichung vorsieht. Die etwas sperrige Formulierung aus dem damaligen Bundesratsvorschlag, die ja ursprünglich von dem Urheberrechtler Gerd Hansen stammt, dass das neue Recht nicht „abbedungen“ werden kann, wird durch die griffigere Formulierung ersetzt: „Eine zum Nachteil des Urhebers abweichende Vereinbarung ist unwirksam“. Eingeschränkt werden soll das neue Recht aber mit Blick auf Werke, die überwiegend durch öffentliche Förderung entstanden sind. Dies auf alle wissenschaftlichen Werke auszuweiten, wie es z.B. Steinhauer für notwendig hielt, war der SPD wohl zu kritisch. Aber auch hier ist die SPD auf der Linie der Allianz und auch weitgehend auf der des Aktionsbündnisses Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft.
Im Kontext eines Wissenschaftskorbs und des zu erwartenden Referentenentwurfs des BMJ
Zur weiteren Erinnerung: Bei der Verabschiedung der zweiten Urheberrechtsreform (des zweiten Korbs) im Juli 2007 war dem Bundestag wohl bewusst, dass Bildung und Wissenschaft nicht sonderlich gut bei diesem Korb weggekommen waren, und man hatte daher gleich den Bedarf nach einem Dritten Korb gesehen, der zentral ein Wissenschaftskorb sein sollte. In diesem Zusammenhang wurde das BMJ aufgefordert, das Thema des Zweitverwertungsrecht noch einmal aufzugreifen und zu überprüfen. Das BMJ hatte im Februar 2009 dann auch entsprechende Prüfbitten an die Fachwelt gerichtet und umfänglich Antworten erhalten (die aber vom BMJ nicht öffentlich zugänglich gemacht wurden).
In diesem Kontext ist der SPD-Vorstoß zu sehen. Im Juli 2010 hatte das BMJ eine Anhörung u.a. genau zu diesem Thema durchgeführt (Protokolle u.a. irights, jusmeum). Es gibt keine vom BMJ autorisierte und damit referenzierungsfähige Zusammenfassung. Aber das Ergebnis war recht klar: die weitaus meisten TeilnehmerInnen aus den verschiedenen Akteursgruppen hatten sich deutlich für die Verankerung eines solchen Zweitverwertungsrecht der AutorInnen ausgesprochen. Dass es dagegen auch Widerstand gab, vor allem von Seiten des Börsenvereins, war auch zu erwarten.
Für das zweite Quartal 2011 ist nun wohl der Referentenentwurf des BMJ zum Dritten Korb zu erwarten. Die Fachwelt ist gespannt, ob dieser einen Normvorschlag zum Zweitverwertungsrecht enthält. Wenn nicht, sollte der SPD-Vorschlag dazu führen, dass das Thema im dann folgenden parlamentarischen Prozess aufgegriffen wird.
Keine verfassungs- und europarechtlichen Bedenken
Der SPD-Vorschlag reagiert klar auf die oben angesprochenen verfassungs- und europarechtlichen Bedenken: „Die vertraglich nicht abdingbar ausgestaltete Stärkung der Stellung des Urhebers beseitigt die zwischen Rechteinhabern und wissenschaftlichen Autoren entstandene Schieflage unter Wahrung der grundrechtlich geschützten Position der Wissenschaftler aus Artikel 5 Abs. 3 und Artikel 14 Abs. 1 GG auf urhebervertragsrechtlicher Ebene.“ Also kein Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit der WissenschaftlerInnen: „Der mit der Einfügung von § 38a UrhG verfolgte Ansatz will … dem Wissenschaftler die Entscheidungsbefugnis über eine Zweitverwertung seiner Arbeit im Interesse der Wissenschaftsfreiheit bewusst belassen.“
Anbietungsverpflichtung?
Auch die Allianz der Wissenschaftsorganisationen hatte ja betont, dass ein solches Recht „in besonderer Weise das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit“ stärke. Ebenso wie die Allianz hat auch die SPD Bedenken gegenüber einer Anbietungsverpflichtung der AutorInnen gegenüber ihren Institutionen, die, so die Kritik auch von Seiten des Deutschen Hochschulverbandes, aus einem Zweitverwertungsrecht abgeleitet werden könne. Das weist auch die SPD zurück. Das Argument des Verstoßes gegen Wissenschaftsfreiheit sollte also vom Tisch sein. Aber es wird zurückkommen.
Das wird auch diesem Vorschlag geschehen, denn an verschiedenen Stellen in der Einführung und Begründung wird das Zweitverwertungsrecht im Zusammenhang mit der Open-Access-Debatte gesehen. Ist dieses nur das Recht der AutorInnen, dann hat das mit Open Access selber zunächst nichts zu tun. Erst wenn diese ihr neues Recht für eine öffentliche Zugänglichmachung in Open-Access-Repositorien nutzen, wird es relevant. Aber wie erreicht man das?
Wie erreicht man flächendeckend Open Access?
Hier schreckt die SPD wie die Allianz erneut zurück. Wirklich? In der Begründung heißt es auch: „es wird lediglich sichergestellt, dass die mit Steuergeldern und somit von der bundesdeutschen Gesellschaft bereits finanzierten Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung durch die öffentliche Hand (und damit durch den Steuerzahler) nicht ein zweites Mal zum finanziellen Nutzen der beteiligten Verlage gekauft werden müssen.“
Diese Sicherstellung wird aber nur erreicht, wenn das Zweitverwertungsrecht nicht ein bloß abstraktes Recht der AutorInnen bleibt, sondern auch geregelt wird, wie dieses neue Recht zur Anwendung kommen soll. Setzt die SPD wie auch die Allianz darauf, dass die WissenschaftlerInnen angesichts der überwältigend einleuchtenden Vorteile einer Sichtbarkeit ihrer Werke bei einer Open-Access-Zweitveröffentlichung dieses Recht schon in diese Richtung nutzen werden? Ein klares Recht der Öffentlichkeit an der freien Zugänglichkeit und freien Nutzbarkeit der „wissenschaftlichen Beiträge, die im Rahmen einer mindestens zur Hälfte mit öffentlichen Mitteln finanzierten Lehr- und Forschungstätigkeit entstanden sind“ (so der Text im SPD-Vorschlag) wird nicht anerkannt bzw. nicht z.B. über eine im Urheberrecht mögliche Zwangslizenz verortet.
Leichter sollte das europarechtliche Argument vom Tisch sein, dass hierdurch eine neue Schrankenbestimmung eingeführt werde, was nach der immer noch gültigen EU-Copyrightrichtlinie von 2001 nicht erlaubt wäre. Die SPD siedelt diese Regelung wie auch damals der Bundesrat im Urhebervertragsrecht an. Dagegen kann es keine EU-Bedenken geben.
Wie ein Zweitverwertungsrecht bei internationalen Publikationen durchsetzbar?
Auf das offenbar auch für das jetzige BMJ entscheidende Argument gegen ein Zweitverwertungsrecht, nämlich Wettbewerbsnachteile deutscher WissenschaftlerInnen im internationalen Publikationsgeschehen, geht die Ausführung zum Normvorschlag nur am Rande ein. Recht lapidar wird nur angemerkt: „Die Regelung greift über das Schutzlandprinzip auf deutschem Territorium auch dann, wenn große, international agierende Verlagshäuser involviert sind.“ Aber die Frage der Zweitveröffentlichung international erschienener Publikationen ist durchaus nicht abschließend in der Fachdiskussion geklärt: Was gilt z.B. wenn mehrere WissenschaftlerInnen (aus verschiedenen Staaten) an einer Publikation beteiligt sind? Welche rechtlichen Wirkungen entfaltet ein neuer § 38a für die Publikationen international besetzter Forscherteams gegenüber nichtdeutschen Verlagen?
Zweitverwertungsrecht oder Zweitveröffentlichungsrecht?
Zum Schluss noch etwas Redaktionelles: Ob der Titel „Zweitverwertungsrecht“ passend ist und nicht besser „Zweitveröffentlichungsrecht“ hätte gewählt werden sollen, mag als eher marginal angesehen werden. Aber da es ja der SPD in erster Linie darum geht, die informationelle Selbstbestimmung der WissenschaftlerInnen zu stärken und nicht deren kommerzielle Interessen, sollte der Begriff der Verwertung hier vermieden werden. Urheberrechtstechnisch ist „Verwertung“ zwar richtig – es geht ja um die im UrhG dem Urheber zustehenden Verwertungsrechte –, aber im allgemeinen Sprachgebrauch ist „Verwertung“ auf kommerzielle Nutzung bezogen. Durch den SPD-Vorschlag soll ja diese kommerzielle Nutzung auch bei einer Verankerung des neuen Rechts der Autoren den Verlagen uneingeschränkt zugestanden werden. Damit meint die SPD die bisherige Regelung von § 38, 1 UrhG zu korrigieren, die nach Ansicht der SPD dann nur noch ein einfaches Nutzungsrecht für die Verleger vorsah. Die Bezeichnung „Zweitveröffentlichungsrecht“ wäre daher wohl eher angebracht. Denn darum geht es ja. Nicht umsonst beschränkt ja die SPD, wie damals der Bundesrat, das neue Recht auf die öffentliche Zugänglichmachung, also die Veröffentlichung im elektronischen Medium.
Fraglich mag auch sein, ob die Einführung eines neues § 38a sinnvoll ist oder ob nicht der § 38 weitgehend geändert werden könnte. Dazu müsste eigentlich nur Satz 2 von Abs. 1 von § 38 UrhG durch den Text des SPD-Vorschlags ersetzt und entsprechend Abs. 2 angepasst werden.
Insgesamt aber ein konstruktiver Beitrag der SPD-Bundestagsfraktion und genau zum richtigen Zeitpunkt in der Phase des Dritten Korbs. Man kann nur hoffen, dass das BMJ überhaupt einen Schritt in Richtung des Zeitveröffentlichungsrecht macht bzw. hoffen, dass auf jeden Fall das Parlament das dann aufgreifen und zu einer Lösung führen wird. Gesetze kommen ja nicht immer so aus dem Bundestag heraus, wie sie von der Regierung eingebracht wurden.
Hier der SPD-Vorschlag:
„§ 38a Zweitverwertungsrecht
An wissenschaftlichen Beiträgen, die im Rahmen einer mindestens zur Hälfte mit öffentlichen Mitteln finanzierten Lehr- und Forschungstätigkeit entstanden sind und in Periodika oder Sammelwerken nach § 38 Abs. 2 erscheinen, hat der Urheber auch bei Einräumung eines ausschließlichen Nutzungsrechts das Recht, den Inhalt längstens nach Ablauf von sechs Monaten bei Periodika und von zwölf Monaten bei Sammelwerken seit Erstveröffentlichung anderweitig nicht kommerziell öffentlich zugänglich zu machen. Die Zweitveröffentlichung ist in der Formatierung der Erstveröffentlichung zulässig; die Quelle der Erstveröffentlichung ist anzugeben. Ein dem Verleger eingeräumtes ausschließliches Nutzungsrecht bleibt im Übrigen unberührt. Eine zum Nachteil des Urhebers abweichende Vereinbarung ist unwirksam."
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Kommentare
Zweitverwertungsrecht den Urhebern rückwirkend sichern
In einem Kommentar zu folgendem Dossier über §38 Urhg
http://iuwis.de/dossierbeitrag/bestandsaufnahme-wer-darf-was-nach-%C2%A7-38-urhg
habe ich dargelegt, wie der derzeitige § 38 zum 9. September 1965 in das UrhG gekommen ist. Seit dessen Wirksamkeit können Verlage durch Autorenverträge (z.B. "Copyright Transfer Agreements" genannt), die sie den Urhebern aufzwingen (von "agreement" im positiven Sinn kann keine Rede sein), jede Zweitveröffentlichung durch den Urheber selbst verbieten. Wer einige dieser CTAs aus dem STM-Bereich gelesen hat, wird sofort einsehen, wie unfair die Verlage ihre Autorinnen und Autoren in dieser Hinsicht behandeln. Es ist daher höchste Zeit, dass der Gesetzgeber den Urhebern (und nicht nur denen, die mit öffentlichen Geldern finanziert wurden) das ihnen moralisch zustehende Zweitveröffentlichungsrecht auch gesetzgeberisch zurück gibt. Und das rückwirkend am dem 9. September 1965, dem Tag als dieser unseelige § 38 seine Wirkung begann.
Der Vorschlag der SPD zum Zweitverwertungsrecht ist daher sehr zu begrüßen, sollte aber wie oben skizziert erweitert werden.
Die LINKE zum SPD-Antrag
Wissenschaftsfreundliches Urheberrecht muss Open Access fördern
TOP 19
Drucksache 17/ 5053 Antrag der SPD-Fraktion:
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes
Der gesamte Text
Am Ende der Stellungnahme:
"...Ein Zweitverwertungsrecht erleichtert Open Access. Eine umfassende Open Access Strategie aber ist damit nicht erreicht. Damit offener Zugang(!) zu wissenschaftlichen Publikationen in der Breite möglich wird, muss Open Access als Nutzungsrecht verstanden werden. Da von würden auch Wissenschaftler in ihrer Recherche profitieren, die dann aber gegebenenfalls zur Open Access-Publikation ihrer Ergebnisse verpflichtet werden sollten. Dass dies im gegebenen rechtlichen Rahmen viel schwieriger umzusetzen ist als der von der SPD vorgeschlagene erste Schritt, ist mir bewusst. Wir sollten dennoch hier nicht stehen bleiben."