Wohin mit den verwaisten Werken? - Ein Beitrag zur Konferenz "Deutsches Kulturerbe auf dem Weg in die Europeana"

Am 4. und 5. Oktober 2010 fand in der Staatsbibliothek zu Berlin die Konferenz „Deutsches Kulturerbe auf dem Weg in die EUROPEANA“ statt. Beteiligte aus Bibliotheken, Museen, Archiven und audiovisuellen Sammlungen, welche zusammen das kulturelle Erbe Deutschlands sammeln, bewahren und der nationalen wie internationalen Öffentlichkeit zur Nutzung zur Verfügung stellen, trafen sich, wohl zum ersten Mal, auf dieser projektübergreifenden Plattform zum Erfahrungsaustausch bzw. um sich überhaupt erst einmal kennen zu lernen. Jill Cousins, die geschäftsführende Direktorin von EUROPEANA, sagte am Montag in ihrem Eröffnungsvortrag, dass nur jeweils 1% der in EUROPEANA bisher eingestellten 12 Millionen Objekte Filme oder Musik seien. Dies sei der Fall, weil die Urheberrechte in den Bereichen der audiovisuellen Objekte und der Audio-Dateien in besonderem Maße eine Hürde für die Massendigitalisierung und Verbreitung von Informationen im Internet darstellten. Derzeit werde in der EU jedoch an einer Lösung für den Umgang mit urheberrechtlichen Problemen gearbeitet, die sich im Zusammenhang mit dem Aufbau des  EUROPEANA-Portals ergeben. Auch sei durch ein Projekt zur Public Domain in Anlehnung an die CC-Lizenzen eine Möglichkeit entwickelt worden, durch die ein Werk als gemeinfrei gekennzeichnet werden könne. Dieses sehr empfehlenswerte Zeichen werde demnächst der Öffentlichkeit vorgestellt.

Erstaunlich war die Vielfalt der von der EU meist innerhalb des Programms eContentplus (co-)finanzierten Projekte, die als „Aggregatoren“ die Daten in ihrem speziellen Bereich „einsammeln“ und dann in ihrer Gesamtheit an die Deutsche Digitale Bibliothek und EUROPEANA liefern. So stellte Monika Hagedorn-Saupe vom Institut für Museumsforschung das Projekt ATHENA vor, dessen Ziel es ist, den Museen die Teilnahme an EUROPEANA zu erleichtern. Georg Eckes vom european film gateway wies darauf hin, dass nur ca. 10% aller Inhalte, die dieses Projekt für EUROPEANA zur Verfügung stellt, Filme sind; 90% seien Dokumente, die sich „um den Film herum gruppieren“, wie Plakate, Schauspielerbiografien etc. Dieses Verhältnis ist wiederum den Schwierigkeiten der Rechteklärung geschuldet. Hier könne das efg nichts weiter tun als Standardverfahren zur Rechteklärung von Filmen und IPR-Management zu entwickeln. Auch Birgit Gray von der Deutschen Welle und Johannes Theurer vom RBB als Manager des Audio-Aggregationsprojekts für Musik EUROPEANAConnect DISMARC machten deutlich, wie engagiert die beteiligten Kulturinstitutionen audiovisuelles und akustisches Material für das gemeinsame europäische Portal aufbereiten und darin der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen.

Am Dienstag präsentierte Thomas Jaeger von der Deutschen Nationalbibliothek das EU-Projekt ARROW („Accessible Registries of Rights Information and Orphan Works towards EUROPEANA“). In diesem sei ein Workflow und ein Prototyp einer Anfrageroutine entwickelt worden, durch den die beteiligten Institutionen und Projekte bei der Rechteklärung von Textwerken maschinell unterstützt werden. Lasse sich bei der Suche kein Rechteinhaber finden, werde das Werk automatisch in eine Datenbank Verwaister Werke eingespeist, was aber Jaeger zufolge nicht heißen muss, dass die Suche nun für die digitalisierende Institution zu Ende wäre. Was eine ausreichend sorgfältige Suche im Sinne des Gesetzgebers sei, könne nicht durch ARROW, sondern nur anhand der Vorgaben der High Level Expert Group der Digital Libraries Initiative geklärt werden. Im Nachfolgeprojekt ARROW Plus solle ab 2011 auch der Versuch unternommen werden, die Klärung von Bildrechten in den Workflow und die maschinelle Abfrage mehrerer Datenbanken zu integrieren.

ARROW stellt ein sehr ambitioniertes Projekt dar: Da keine hinreichend sinnvolle gesetzliche Ausnahmeregelung für den Gebrauch und die Verbreitung von Werken des kulturellen Erbes existiert, fällt es Bibliotheken, Museen und Archiven schwer, ihrer Aufgabe, das kulturelle Erbe Deutschlands und Europas der Bevölkerung zu Bildungs- und Forschungszwecken zur Verfügung zu halten, umfassend nachzukommen. Denn der Prozess der Rechteklärung ist insbesondere bei großen Mengen von verwaisten Werken im Bestand sehr aufwändig und kostspielig. Hier stellt ARROW den an EUROPEANA sich beteiligenden Institutionen eine Hilfe bereit. Es ist zu wünschen, dass ARROW vom Prototypen zum erfolgreich arbeitenden Routineabfragemechanismus wird; aber ebenso sehr und mehr wäre EUROPEANA geholfen, wenn die EU eine bildungs- und wissenschaftsfreundliche Ausnahme für den Umgang mit verwaisten und vergriffenen Werken in ihre Urheberrechtsrichtlinie von 2001 aufnehmen würde.