Welches Recht steht auf dem digitalen Gesellschaftsspiel. Randbemerkungen zur Anhörung der Internet-Enquete am 29.11.2010

Am 29.11.2010 kam im Paul-Löbe-Haus zum 7. Mal die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft" zusammen. Das Thema lautete dieses Mal „Entwicklung des Urheberrechts in der digitalen Gesellschaft".

So unsicher die Lage in Sachen Urheberrecht oftmals scheint, so sicher war die Lage vor Ort, denn gründlicher als dieser Tage kann man ein Regierungsviertel wahrscheinlich nicht absichern. Insofern war die erste Übung der BesucherInnen noch vor dem Zutritt zur öffentlichen Sitzung eine in Geduld. Hier wurde die Zugangsbeschränkung, wie man sie von digitalen Lizenzinhalten kennt, ganz realweltlich vorgeführt, wobei es sich nicht um eine Pay-Wall handelt, jedoch um fast militärtechnische Schutzmaßnahmen, die zu umgehen durchaus eine Begehungskompetenz erfordert. Bequemer und digitaler war es vermutlich für jene, die der Sitzung über den Livestream folgten. Sowohl diese wie auch jene sahen die manchmal mehr und manchmal weniger überzeugenden Auftritte der Experten. Zehn Sachverständige nahmen Platz, um zu den Fragen der Kommissionsmitglieder sowie der der BürgerInnen, die vorab im Diskussionsforum gestellt werden konnten, Position zu beziehen:

  • Prof. Dr. Thomas Dreier (Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Zentrum für Angewandte Rechtswissenschaft)
  • Wolfgang Kopf (Deutsche Telekom AG)
  • Prof. Dr. Karl-Nikolaus Peifer (Institut für Medienrecht und Kommunikationsrecht der Universität zu Köln)
  • Ronald Schild (Geschäftsführer MVB Marketing- und Verlagsservice des Buchhandels GmbH (Libreka))
  • Wolfgang Schimmel (Rechtsanwalt)
  • Prof. Dr. Rolf Schwartmann (Kölner Forschungsstelle für Medienrecht)
  • Matthias Spielkamp (iRights.info)
  • Prof. Dr. Gerald Spindler (Lehrstuhlinhaber an der Juristischen Fakultät Göttingen)
  • Prof. Dr. Peter Tschmuck (Universität für Musik und darstellende Kunst Wien - Institut für Kulturmanagement und Kulturwissenschaft (IKM))
  • Dr. Sacha Wunsch-Vincent (Senior Economic Officer UN Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO))

Zu Sitzungsbeginn fassten die geladenen Sachverständigungen ihre vorab schriftlich eingereichten Stellungnahmen in Eingangsstatements zusammen. Danach konnten in drei Runden Fragen an die Sachverständigen gestellt werden, wobei sich diese in drei übergeordnete Komplexe gliederten:

  1. Grundlagen – Bestandsaufnahme – Herausforderungen
  2. Vertriebsformen und Vergütungsmodelle
  3. Lösungsansätze

Jenen, die bspw. die Anhörungen zum Dritten Korb verfolgt haben, wird das Spektrum an Themen und Fragen, welche im Zusammenhang mit einer notwendigen Anpassung des Urheberrechtsgesetzes auftauchen, bekannt vorkommen. Dies gilt z. B. für die wiederkehrende Feststellung, dass das Urheberrechtsgesetz in seinen Wirkungen im Internet so derart komplex ist, dass nur sehr wenige überhaupt noch verstünden, welche Nutzungen zulässig sind und welche nicht. So wie uns die Pop-up-Fenster beim Surfen durch das Internet verfolgen, begleitet eine kleine feste Armada von Themen die Debatte:

  • ein etwaiges Leistungsschutzrecht für Presseverlage
  • eine Kulturflatrate als Lösungsansatz, um die Interessen von UrheberInnern, NutzerInnen und VerwerterInnen in Gleichklang zu bringen
  • ein Bedarf an Geschäftsmodellen, die attraktive legale Angebote bereithalten. In der Sitzung wurden Apples App-Store und Itunes-Store als Vorbilder benannt. Ob man geschlossene Systeme sympathisch findet, steht dabei nicht zur Diskussion – es geht zunächst einmal darum auszuloten, welche Modelle von NutzerInnen angenommen werden. (Nota bene: Apple wurde seine Monopolstellung auch massiv vorgeworfen, gelobt wurde lediglich, dass z. B. mit iTunes ein Konzept bereitgehalten wird, dass für NutzerInnen ein attraktives Angebot darstellt, um legal digitalen Content zu erwerben und zu verwalten.)
  • der Zusammenhang zwischen Urheberrecht und kultureller Vielfalt, also der Frage, ob ein starkes Urheberrechtsgesetz die kulturelle Vielfalt begünstige oder sie eher ausbremse
  • Urheberrechtsverletzungen. Alvar Freunde, Sachverständiger der SPD-Fraktion, umschrieb die Problematik des Schaffens und Schließens gesetzlicher Lücken als Hase-und-Igel-Spiel: Einerseits fänden technisch affine NutzerInnen immer neue Wege, um Schutzmaßnahmen zu umgehen; andererseits schlösse die Industrie die Lücken und mahnt unzulässige Nutzungen ab. Es stellt sich die Frage, ob ein Ende dieses Spiels absehbar ist.
  • die hohen Kosten der Rechteklärung. Interessanterweise berichtete der Leiter für Politik und Regulierung Deutschen Telekom AG Wolfgang Kopf davon, dass inzwischen von der Telekom für die Rechteklärung Dienstleister beschäftigt werden müssten und dabei „Unsummen“ ausgegeben würden. Die Telekom wünsche sich deshalb eine zentrale, europäische Clearingstelle, die die Klärung von Rechtspositionen erleichtern und damit die Werkverbreitung fördern würde.

Dass an den Arbeitsergebnissen der Internet-Enquete ein breites Interesse seitens der Öffentlichkeit besteht, lässt sich an mehreren Anzeichen ablesen: Wie auch schon bei der Öffentlichen Anhörung im Oktober zum Thema Netzneutralität waren die Zuschauerränge sehr gut besetzt. Über Twitter erfolgte medienadäquat ein reger Live-Austausch. Zudem wurde kollaborativ protokolliert. Keine zwei Stunden nach Sitzungsende berichteten bspw. die Zeit und heise. Weitere Stimmen werden nicht lange auf sich warten lassen.

Richtig spannend, und das ausgerechnet in einer organisatorischen Frage, wurde es noch einmal in der letzten halben Stunde, nachdem die geladenen Sachverständigen aus der Pflicht entlassen wurden: Beim Einsetzen der Enquete-Kommission hatte man sich grundsätzlich darauf geeinigt, dass alle Sitzungen öffentlich sein sollten. Hingegen sollten die Sitzungen der einzelnen Projektgruppen der Enquete-Kommission nicht öffentlich sein, sofern die jeweilige Projektgruppe dies von Anlass zu Anlass nicht ausdrücklich anders entscheidet. Eine Abstimmung ergab, dass es bei der Entscheidung für oder gegen eine Öffnung der Projektgruppen für die Öffentlichkeit einer einstimmigen Entscheidung bedarf.

Wichtig ist diese Frage deshalb, weil in den Projektgruppen die eigentliche Arbeit stattfindet: Während in den öffentlichen Anhörungen externe Sachverständige zu bestimmten Fragen und Sachverhalten Stellung nehmen, werden in den Projektgruppensitzungen die eigentlichen Fahrpläne ausgestaltet. Im ersten Teil sieht man die möglichen Züge, im zweiten wird bestimmt, welche wo halten. Aus Sicht der interessierten Öffentlichkeit wäre es demnach wünschenswert, Transparenz auch in die Arbeit der einzelnen Projektgruppen zu bringen. Das hieße, sie also ebenfalls für die Allgemeintheit zu öffnen zugänglich zu machen. Ob dies nun erfolgen wird, bleibt zunächst noch abzuwarten…

 

Die nächste öffentliche Sitzung der Enquete-Kommission findet am 13. Dezember 2010 statt und widmet sich dem Thema Medienkompetenz.

 

P.S. Das Wort des Tages ist übrigens „Einkommensverhinderungsmaschine“, ein flottes Synonym für Tauschbörsen, als dessen Urheber Ronald Schild (Geschäftsführer des MVB Marketing- und Verlagsservice des Buchhandels GmbH und somit Repräsentant eines Tochterunternehmens des Börsenvereins) in die Geschichte der Urheberrechtsdiskussion eingehen wird.