Eine umfassende Bildungs- und Wissenschaftsklausel wird gebraucht, keine leicht auszuhebelnde Schranke

VerfasserInnen

Aktionsbündnis "Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft"

Publikationsinformationen

Erscheinungsdatum: 11. Mai 2014
Berlin
Aktionsbündnis "Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft"
Pressemitteilung
Deutsch

Abstract

Volltext: Pressemitteilung 02/14 vom 11. Mai 2014

Eine umfassende Bildungs- und Wissenschaftsklausel wird gebraucht, keine leicht auszuhebelnde Schranke

Die öffentliche und politische Diskussion um eine umfassende Bildungs- und Wissenschaftsklausel ist seit dem 9.5.2014 eröffnet. Das Aktionsbündnis hat einen neuen Vorschlag dafür vorgelegt, der dem Vorschlag von Prof. de la Durantaye aus einem vom BMBF finanzierten Forschungsprojekt nahe kommt, aber sich in entscheidenden Punkten davon unterscheidet. Durch die Abweichungen will das Aktionsbündnis die Priorität von Wissenschafts- und Lehrfreiheit gegenüber kommerziellen Verwertungsansprüchen deutlich machen und den Vorrang von (durch Klauseln oder Schranken) garantierten Rechtsansprüchen gegenüber Lizenzangeboten des Marktes behaupten.

Das Aktionsbündnis hat am 9.5.2014 seine aktuelle Version einer umfassenden Bildungs- und Wissenschaftsklausel auf einer Tagung vorgestellt, die genau zu diesem Thema in Berlin in den Räumen des Grimm-Centers der Humboldt-Universität zu Berlin stattfand. Das Aktionsbündnis schlägt die Bezeichnung „Klausel” vor, da dadurch das allgemeine Rechtsprinzip eines freien Umgangs mit publiziertem Wissen in Bildung und Wissenschaft besser herausgestellt wird als durch eine Schranke, die dieses Rechtsprinzip nur als eine (so klein wie möglich zu haltende) Einschränkung des ansonsten exklusiven Rechtsanspruch auf Verwertung der Rechteinhaber zulässt.

Bildungs- und Wissenschaftsklausel

(1) Zulässig ist die Vervielfältigung und öffentliche Zugänglichmachung eines veröffentlichten Werkes für nicht kommerzielle Zwecke a) wissenschaftlicher Forschung oder b) der Lehr- und Lernprozesse an Bildungseinrichtungen. Satz 1 gilt auch für Zwecke der Bestandserhaltung durch Einrichtungen wie öffentlich finanzierte Bibliotheken, Archive, Dokumentationen und Museen. Satz 1 gilt auch für die wissenschaftliche Forschung und Lehren und Lernen unterstützenden Leistungen von in Satz 2 erwähnten Vermittlungsinstitutionen.

(2) Vertragliche Regelungen, die Abs. 1 ausschließen oder einschränken, sind unwirksam.

Im Zentrum dieser Veranstaltung standen allerdings Präsentation und Diskussion eines entsprechenden Vorschlags von Professorin Katharina de la Durantaye, der im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierten Forschungsprojekts entwickelt und durch eine ausführliche und exzellente Studie zum Stand der juristischen Diskussion darüber begründet wurde. Da zu erwarten ist, dass auf diesen Vorschlag in der näheren Zukunft auch in der politischen Diskussion ständig referenziert werden wird, möchte das Aktionsbündnis die Unterschiede zwischen beiden Ansätzen deutlich machen.

Der erste klauselähnliche Satz des Durantaye-Vorschlags scheint auf den ersten Blick mit dem Aktionsbündnis-Vorschlag identisch zu sein:

„Zulässig ist die Vervielfältigung und öffentliche Zugänglichmachung eines veröffentlichten Werkes zur Veranschaulichung des Unterrichts an Bildungseinrichtungen oder für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung, wenn und soweit die Nutzung in ihrem Umfang durch den jeweiligen Zweck geboten ist und keinen kommerziellen Zwecken dient.”

Beide Vorschläge schränken die Nutzung für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung in keiner Weise ein. Das ist ein großer Fortschritt gegenüber den bisherigen Formulierungen im Gesetz, nach denen (wie in § 52a UrhG) z.B. nur kleine Teile von Werken genutzt werden dürfen.

Das Aktionsbündnis hält jedoch die Formulierung „zur Veranschaulichung des Unterrichts” für zu eng gefasst und nicht zuletzt auch aus methodisch-didaktischen Gründen für nicht mehr zeitgemäß. Das Aktionsbündnis verwendet daher die weitergehende Formulierung für Zwecke „der Lehr- und Lernprozesse an Bildungseinrichtungen”. Das Aktionsbündnis fordert den Gesetzgeber auf, die entsprechende Vorgabe aus der EU-Richtlinie konstruktiv zu interpretieren.

Diese Forderung einer mutigen und konstruktiven Interpretation gilt auch für weitere Einschränkungen, an denen der Durantaye-Vorschlag an anderen Stellen meint festhalten zu müssen. Dazu gehört z.B. die Vorschrift, dass die Bereitstellung von Materialien, die von der Bibliothek digitalisiert wurden, nur an „Leseplätzen in den Räumen der Bibliothek” erlaubt sein soll. Das Aktionsbündnis plädiert nicht zuletzt aus technischen und methodischen Gründen für eine zeitgemäße Interpretation der Räume der Bibliotheken als virtuelle Räume, so dass ein Benutzer von seinem Arbeitsplatz aus seinen Rechner so verwenden kann, als ob dieser ein Endgerät in der Bibliothek wäre. Das ist der Sinn eines VPN-Anschlusses eines entfernten Rechners zur Quelle der Information.

Der entscheidende Unterschied zwischen beiden Vorschlägen besteht aber darin, dass im Durantaye-Vorschlag das Prädikat „geboten” verwendet wird. Nicht geboten soll die Nutzung sein (das ergibt sich klar aus dem Text der Begründung und stimmt auch mit einer jüngsten Interpretation von „geboten” durch den Bundesgerichtshof überein), wenn von Verlagsseite ein Lizenzangebot zur Nutzung eines Dokuments vorliegt.

Diese Priorität des kommerziellen Marktangebots, auch wenn es angemessen sein muss (was aber ist das?), gegenüber einem durch eine Klausel (auch einer Schranke) garantierten Nutzungsrecht ist für das Aktionsbündnis unakzeptabel. Es ist schon jetzt absehbar, dass dadurch der gesamte Schrankenvorschlag von Durantaye null und nichtig würde. Aber Ansprüche aus Schranken gehören unabdingbar zur Systematik des Urheberrechts und dürfen nicht durch kommerzielle Marktmodelle außer Kraft gesetzt werden.

Das Aktionsbündnis hält es zuletzt, anders als der Durantaye-Vorschlag, nicht für erforderlich, in der Klausel einen Vergütungsanspruch explizit zu formulieren. Es ist auch dem Aktionsbündnis bewusst, dass durch die in der Klausel garantierte genehmigungsfreie Nutzung der Vergütungsanspruch nicht prinzipiell ausgeschlossen werden kann. Das hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt.

Falls aber eine Vergütung an die Urheber erforderlich sein sollte (was in Bildung und Wissenschaft eher eine marginale Rolle spielt), sollte das z.B. über die ohnehin anfällige Geräteabgabe (über einen neuen 54er Paragraphen) oder durch einen Gesamtvertrag zwischen den Ländern und den Rechteinhabern geregelt werden. Die Klausel selber sollte deutlich machen, dass die jeweilige aktuelle und individuelle Nutzung für Wissenschaftler, Lehrende und Lernende frei sein soll und nicht über jeden Vorgang einzeln Buch geführt und dieser individuell abgerechnet werden muss. Das ist keinem Wissenschaftler und keinem Lehrenden zuzumuten und führte zu einer negativen Transparenz der Vorgänge in Wissenschaft und Bildung, durch die, vergleichbar mit dem vor einiger Zeit einmal vorgesehenen und dann zum Glück gescheiterten Schultrojaner, einer Überwachung und einem Missbrauch der Daten Tor und Tür geöffnet. Politik und Öffentlichkeit sollten nicht zuletzt durch die NSA-Überwachung mit Blick auf Datensammlung, Auswertung und Verwertung in Bildung und Wissenschaft sensibilisiert sein.

Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag vorgenommen, eine umfassende Bildungs- und Wissenschaftsschranke auf den Weg zu bringen. Das Aktionsbündnis appelliert an die Bundesregierung den dann dem Bundestag vorzulegenden Entwurf nicht mit kleinteiligen und praxisfernen Einschränkungen unbrauchbar zu machen, sondern den Mut zu haben, bestehende Vorgaben wegweisend und kreativ auszulegen und Zeichen für den Vorrang von Wissenschafts- und Lehrfreiheit gegenüber kommerziellen Verwertungsansprüchen zu setzen.

Aktionsbündnis „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft” V.i.S.d.P. Prof. Dr. Rainer Kuhlen (Sprecher)

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