IUWIS Workshop 2011
IUWIS ist angesiedelt am Institut für Bibliotheks- und Informations-
wissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin.
Das urheberrechtsökologische Gleichgewicht. Zu einem Aufsatz Norbert Flechsigs.
(zu Norbert Flechsig: Zur Zukunft des Urheberrechts im Zeitalter vollständiger Digitalisierung künstlerischer Leistungen. In: Zeitschrift für Geistiges Eigentum / Intellectual Property Journal. Vol 3 (1) 2011. S. 19-46. Abstract via ingentaconnect.)
I
Am 10.Dezember 2010 hielt Nobert Flechsig, Honorar-Professor für Urheber- und Medienrecht in Tübingen, an der dortigen Rechtswissenschaftlichen Fakultät seine Antrittsvorlesung. In der Ausgabe 3/2011 der Zeitschrift für Geistiges Eigentum findet sich eine Ausarbeitung seines Vortrags. Da er sich in diesem sehr grundlegend mit der Frage des Urheberrechts in digitalen Medienräumen befasste, scheint es naheliegend, einige Kernaspekte – er selbst spricht von „utopischen Provokationen“ – seiner Programmatik genauer zu betrachten.
Wie bei Programmschriften üblich, entdeckt man eine Reihe von Ausdrücken, die zeigen, wie schwerfällig die Sprache auf der Suche nach der treffenden Bezeichnung für neue Konzepte herumirrt. Das angestaubt klingende Wort vom „Digitalen Zeitalter“ gehört genauso dazu, wie das flippig gemeinte „Analogistan“. Dass sich der Autor hinreißen lässt, auf „Account“ als deutsches Neuwort zu verweisen, ist beinahe sicheres Zeichen, dass er aus einer bestimmten Generation mit spezifischen generationalen Wertemustern stammt. Dass dort jemand schreibt, dem ein Wort wie „Schlafrock“ geläufiger ist, als „firewall“, ist etwas, was die Lektüre des Aufsatzes im Hinterkopf begleiten sollte und, wie sich zeigen wird, kein Nachteil.
Der Themenbogen des Aufsatzes überspannt vier Aspekte:
1) die Möglichkeit eines Interessenausgleichs zwischen vier Akteurgruppen: Urheber, Verwerter, Nutzer sowie Gesellschaft (bwz. das Gemeinwohl),
2) unter den veränderten technischen Bedingungen (Digitalität),
3) in Hinblick auf einen möglichen Open Access, wobei hierbei generell eine weiter Zugang zu Inhalten mit gleichzeitiger angemessener Vergütung gemeint ist, sowie
4) wie das Urheberrecht in diesem Zusammenhang zu gestalten sei.
Denn dass die bestehende Gesetzeslage bei digitalen Werknutzung über das Internet nur bedingt angemessen ist, scheint unbestritten und der Rückgriff per Zitat auf Nicholas Negropontes Being Digital –Einsicht aus dem Jahr 1995, dass Urheberrecht für das Gutenberg-Zeitalter sei in der digitalen Welt „völlig veraltet“, wirkt als Beleg fast unnötig. Daran anschließend formuliert Flechsig, mit dem deutlichen Hinweis, dass urheberrechtskonformes Verhalten im Web so gut wie unmöglich ist, den Angelpunkt seiner Betrachtung:
„Rechtmäßiges und unrechtmäßiges Handeln liegen […] oftmals dicht beieinander. Die Verunmöglichung der Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen führt regelmäßig zum Ausfall von Vergütungsansprüchen. Es fragt sich, wie national und unionsrechtlich sowie weltweit der Schutz des geistigen Eigentums tatkräftig gesichert werden kann.“ (S.30)
Er bestätigt dabei nebenbei etwas, für dessen Postulierung sich Markus Beckedahl (Netzpolitik.org) jüngst ziemlich viel Prügel hat abholen müssen. (vgl. http://www.telemedicus.info/article/2016-Jeder,-der-das-Internet-aktiv-nutzt,-begeht-Urheberrechtsverletzungen.html)
Gerade die globale Perspektive, die unterschiedliche Rechtsfoci beinhaltet – das Copyright-Law gilt stärker als Freiheitsrecht des Nutzers, das Urheberrecht als „Souveränitätsanspruch des Schöpfers“ – verkompliziert die Sachlage zusätzlich.
II
Etwas nachstrukturiert lässt sich die beschriebene Figuration folgendermaßen umreißen:
Die zwei, in der Praxis weitgehend interdependent technologischen Dispositive sind:
a) Die Digitalisierbarkeit, in der die unmittelbare Materialbindung der Inhalte aufgelöst wird zu einer reinen Codierung.
b) Die Kommunikabilität der Codierung über eine globale, dezentrale, leicht zugängliche Informationsübertragungsinfrastruktur
Diese Dispositive führen zu spezifischen Nutzungsformen, wobei der Werkgenuss selbst noch am stabilsten zu bleiben scheint. Größer sind die Verwerfungen bei der Speicherung und Distribution. Raubkopien waren zwar seit den Inkunabeln (früher als Raubdrucke) bekannt. Jedoch eröffnen digitale Vervielfältigungs- und Ablagetechnologien ungleich größere Kapazitäten für die Reproduktion von Inhalten. Weil Technik naturgemäß neutral ist und gerade die Digitaltechnik, die von der Verwerterseite primär als kostensenkender Faktor verstanden und durchsetzt wurde, relativ kostengünstig zur Verfügung steht und funktioniert, setzen die Nutzer die technischen Möglichkeiten nahezu zwangsläufig entsprechend ein.
Eventuelle Kontrollrechte über die Verbreitung von Inhalten werden technisch nur mit der de facto gescheiterten Prothetik technischer Schutzmaßnahmen überhaupt ansprechbar. Da das Internet als hoch dynamischer Distributionskanal eine Rechtsdurchsetzung bestenfalls exemplarisch und damit mit einem für den Einzelnutzer relativ geringen Risiko ermöglicht (und darüber hinaus, dort wo es geschieht, nicht selten höchst fragwürdig praktiziert wird – Stichwort Abmahnindustrie) – kann man schon davon ausgehen, dass das Urheberrecht in digitalen Kommunikationsräumen zwar gilt, aber im Falle eines Verstoßes hinsichtlich seiner Geltung nur wenig praktische und angemessene Wirksamkeit entfalten kann.
Kurz: Das aktuelle Urheberrechtsgesetz berücksichtigt diese im Vergleich neuen Nutzungsmöglichkeiten und –praxen nur sehr eingeschränkt.
Dennoch bleibt der Anspruch eines Interessenausgleichs selbstredend gegeben: Die Urheber sollen für ihre schöpferische Arbeit vergütet werden, die intermediären Akteure für ihre Distributions- und Aufbereitungsleistungen und die Nutzer sollen dennoch medienadäquat Inhalte nutzen können. Voraussetzung ist dafür jedoch, so Flechsig, eine „geänderte Architektur des Schutzes des geistigen Werkschaffens und seiner gesellschaftlichen Struktur“. (S.38)
II
Rechtsperspektivisch entfaltet sich der sechste Teil des Aufsatzes als besonders bemerkenswert. In diesem beschreibt Flechsig den Ansatz einer „Ökologie des Urheberrechts“. Zu dieser „sind im weiteren Sinne alle Existenzbedingungen des Werkes zu rechnen. Diese betreffen sowohl die Seite der Herstellungs- und Schaffensbedingungen des Urhebers und den Schutz seiner Werke als auch die Belange der diese Werke Nutzenden und der mit der Werkvermittlung befassten Intermediäre auf der anderen Seite.“ (S.37) Wobei der Aspekt der Langzeitarchivierung ebenfalls Teil dieses Ökosystems ist.
Eine Urheberrechtsgestaltung muss demnach die schon zitierte „Architektur“ mit der Ökologie in Übereinstimmung bringen. Unter den acht Gesichtspunkten, die der Autor in diesem Zusammenhang auflistet, sind der siebente und der achte gerade für die Diskussion um ein differenziertes Bildungs- und Wissenschaftsurheberrecht von herausgehobenem Interesse. Im Punkt Nummer sieben betont Flechsig:
„Ein absolutes Bestimmungsrecht des Urhebers in jeder nur denkbaren Beziehung ist nicht stets gerechtfertigt […]“ (S.38)
Damit bereitet er seinen achten Punkt konkret vor:
„Soweit beispielsweise im Bereich geförderter Forschung eine Wertschöpfung zugunsten der Allgemeinheit stattfindet, ist auch deren bevorzugter Umgang mit von auf diesem Gebiet entstandenen Werken gerechtfertigt.“ (S.39)
Und dieser zum Beispiel, so mag man ergänzen, Open Access.
III
Präziser im Sinne eines Open Access-Gedanken wäre es sicher, von einer „öffentlich geförderten Forschung“ zu schreiben und die Wertschöpfung nicht als konkret zugunsten der Allgemeinheit sondern generell zum Kriterium zu erheben. Aber diese Unschärfen fallen nicht sonderlich ins Gewicht angesichts der sehr expliziten Ausführungen zu den Wissenschafts- und Bildungsschranken im VII.Teil seines Aufsatzes. Dort bemerkt Flechsig ausdrücklich:
„Die gegenwärtigen Schrankenregelungen im Urheberrechtsgesetz, die sich beschränken auf Sammlungen für Schul- und Unterrichtsgebrauch, Schulfunksendungen, zitatmäßige Verwendungen und das eingeschränkte Zugänglichmachen für Unterricht und Forschung können nicht befriedigen.“ (S.39)
Besonders unglücklich erscheint ihm die Lösung zu den elektronischen Leseplätzen, die die „Handlungen der Bibliotheksnutzer – etwa durch lächerliches Abfotografieren (!) – “ nicht berücksichtigt, ansonsten aber eng regulierend wirkt.
Er schlussfolgert:
„Höflich und untertrieben formuliert gilt: Das Urheberrecht behindert den Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen.“ (S.40)
Und weiter hinsichtlich der Konsequenzen vielleicht etwas sehr zugespitzt:
„Wissenschaft und Forschung scheinen effektiv bedroht.“ (ebd.)
Bedroht ist nicht die Wissenschaft, sondern ihre weitreichende Ausdehnung bzw. Umsiedlung in digitale Kommunikationsumgebungen. Dessen ungeachtet gilt zweifelsohne, was nahezu jeder in der Wissenschaft Aktive zu bestätigen vermag:
„Digitale Nutzungen zu Zwecken von Forschung und Lehre sind, wie an vielen Schrankenbestimmungen deutlich wird, zu enge Grenzen gezogen, so dass schon wegen der rechtlichen Risiken, diese im Einzelfall zu überschreiten, häufig von der entsprechenden Inanspruchnahme abgeraten wird.“ (ebd.)
Digital vermittelte Wissenschaft steht, so lässt sich ergänzen, vor dem Probleme, dass sie im Gegensatz zu privaten Internetnutzern ein vergleichsweise hohes Risiko im Falle einer sei es auch nur fahrlässigen Urheberrechtsverletzung trägt. Die meist verständliche Vorsicht führt allerdings dazu, dass tatsächlich bestimmte Formen der digitalen Wissenschaftskommunikation und digital vermittelter Lehre maßgeblich behindert oder gar unterbunden werden (müssen). Gerade im Bereich der Lehre, wo sich dieses Wirkungsfeld mit dem der privaten Internetnutzung der Lernenden mischt, wird es noch schwieriger. Das Digitale wird von Studierenden häufig als ubiquitärer Zustand mit identischen Regeln verstanden. Damit befinden sie sich paradoxerweise fast wieder im Einklang mit dem geltenden UrhG – nur eben aus einer ganz anderen Warte. Dass an elektronischen Leseplätzen der Universitätsbibliothek weder ausgedruckt noch abgespeichert werden darf, entzieht sich häufig ihrem Verständnis und nur sehr wenig Studierende haben derart differenzierende Sachkenntnis, dass sie das Anachronistische dieses Zustands nicht der Institution Bibliothek sondern den gesetzlichen Vorschriften zuordnen. Für Bibliotheken ergibt sich daraus mitunter ein nicht geringes Image-Problem.
IV
Das Entscheidende des Ansatzes von Norbert Flechsig liegt in der Erweiterung des Blickwinkels. Ein auf den Urheber zentriertes Urheberrecht (eigentlich ein auf Urheber und Verwerter zentriertes Recht) erscheint ihm nicht mehr zeitgemäß. Der Urheberrechtsschutz ist für ihn ein Verfahren, um „eine Ökologie der Kultur zu gewährleisten, darin die kreative Schöpfung ebenso wie deren Verbreitung sowie die Lust am Werkschaffen genährt werde.“ (S. 44)
Aus diesem Grund plädiert er für einen „copyright turn“: Das Urheberrecht soll zu einem „Recht des Urhebers und Nutzers und seiner Intermediäre“ entwickelt werden. Konsequenterweise an seine Argumentation anschließend sollte man besser von einem „Recht der Urheber, der Nutzer, der Intermediäre und des Gemeinwohls“ sprechen. Die vier Größen verdeutlichen buchstäblich, dass es sich um eine Quadratur von Interessenkreisen handeln muss, die aller Wahrscheinlichkeit nach nur Leitgestirn sein kann, deren Realisierung aber in Praxis mehr durch eine permanenten Prozess des Aushandelns gekennzeichnet ist.
Ein zeitgemäßes Urheberrecht, das vielleicht als meine Erweiterung der Position, kann kein absolutes Vokabular sein, denn sein Bezugsrahmen ist per se offen. Einen möglichen und einleuchtenden Grundkonsens dafür bietet eine Abschlussüberlegung Flechsigs:
„Liegt dem weltanschauungsneutralen aber nicht wertneutralen Staat daran, dass kulturelle Leistungen des Menschen als sein Naturrecht erhalten bleiben und gleichzeitig der Ermutigung des Lernens und dem Fortschritt der Gesellschaft dienen, müssen wir neue digitale Nutzungsformen des Werkkonsums als rechtmäßiges, aber auch vergütungspflichtiges Handeln zulassen.“ (S.45)
Ich halte es zwar das Konzept des „Fortschritts“ für problematisch, da mir immer ein ideologischer Missklang mitzutönen scheint. Aber das ist eventuell ein privates Problem. Insgesamt verstehe ich sehr gut, dass wir uns in absehbarer Zeit nicht aus dem im Ganzen gut funktionierenden gegebenen ökonomischen Modell der Gesellschaft verabschieden werden. Urheber und Intermediäre müssen also schlicht ihre Existenz finanzieren. Andererseits bleiben die Entfaltung und Rezeption von werkgewordenen Ideen Existenziale der Kultur an sich. Auf dieser Basis, so scheint es, muss man pragmatisch die verschiedenen Schenkel (technologische Möglichkeiten, Verhaltensweisen, Interessenlagen) in die richtigen Winkel zueinander manövrieren. Das, was heute Urheberrecht ist, könnte in dieser Ökologie oder Geometrie bzw. also des Rechtes der – wenn man den Urheberbezug relativieren mag – werkgebundenen Kommunikation als Winkelmesser und Handlungsschablone fungieren. Dazu muss es allerdings in der Tat seine Perspektive gewaltig erweitern. Der Verdienst des Aufsatzes von Norbert Flechsig liegt darin, dazu einen nicht geringen Beitrag zu leisten.
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