Pro Markt. Der Börsenverein plädiert für eine private Wissenschaftsinfrastruktur und ein schrankenloses Urheberrecht.

Mit der Buchmesse erhält die Urheberrechtsdebatte tüchtig Schwung und besonders der Börsenverein des Deutschen Buchhandels nutzt erwartungsgemäß die Plattform und das mediale Interesse, um seine Vorstellungen zum Urheberrecht zu verbreiten. Eine Webschau zur Diskussion gibt es bei Dradio Wissen.

Neben der Debatte zur illegalen Vervielfältigung elektronischer Bücher mit dem bekannten Metaphernvorrat zum rechtsfreien Raum des Internets erweist sich für die Wissenschaft und das Wissenschaftsurheberrecht die jüngst veröffentlichte Stellungnahme des Börsenvereins zum Gesamtkonzept für die Informationsinfrastruktur in Deutschland (KII-Papier) (PDF) als ungemein interessant.

Christian Sprang spricht sich als Vertreter des Börsenvereins in der Positionierung generell für die weitgehend privatwirtschaftliche Gestaltung der wissenschaftlichen Informationsversorgung aus. („Die Verfasser des [KII-]Papiers verkennen, dass eine Informationsinfrastruktur effizienter funktioniert, wenn Aufgaben von im Wettbewerb miteinander stehenden privatwirtschaftlichen Dienstleistern wie Verlagen und Bibliothekslieferanten übernommen werden statt von der öffentlichen Hand.“) Besonders „verlegerische Aktivitäten der öffentlichen Hand“ sind dabei Gegenstand der Kritik, denn diese

„müssen schon aus strukturellen Gründen von vorneherein teurer, ineffizienter und weniger pluralistisch sein als die Nutzung der Dienstleistungsangebote von im Wettbewerb stehenden Verlagen und Bibliotheksdienstleistern.“ (S.3)

Mit demselben Argument der Triebkraft „Wettbewerb“ könnte man allerdings auch die Gesamtprivatisierung des Hochschulwesens einfordern.

Dass Universitätsverlage o.ä. Akteure Teil eines solchen pluralistischen Angebots sein können, hält er für ausgeschlossen, wie er exemplarisch anhand der juristischen Open Access-Zeitschrift jipitec ausführt. (S.10) Zudem zieht er das Scheitern eines Förderprogramms „mit dem Wissenschaftsverlage zur Umstellung von subskriptionsbasierten Zeitschriften auf Open Access bewegt werden sollten“ als zweites Beispiel für die Finanzierungsprobleme eines weitreichenden Umstiegs in der wissenschaftlichen Kommunikation auf Open Access heran. Dass dieses Scheiten aber, wie Christian Sprang selbst ausführt, durch den Nichteinstieg der Verlagsseite verursacht wurde, nimmt dem Beispiel ein wenig die argumentative Wucht.

Dass jipitec derzeit keine Strategie zu einem nachhaltigen Betrieb präsentiert, heißt einerseits nicht, dass es keine gibt. Andererseits ist der Markt im Umfeld des elektronischen Publizierens derzeit derart dynamisch, dass es eine sichere Perspektive abgesehen von der Finanzierung über stabile Bibliotheksetats auch für viele kommerzielle Angebote in diesem Bereich nicht durchgängig nachhaltig erscheint. Das wissenschaftliche Verlagswesen lebt weitgehend von einer öffentlichen Finanzierung. Und natürlich wünscht es sich, dass dies mit einem gewissen Wachstum so bleibt.

Eine Prognose für eine langfristige Perspektive von 30 bis 50 Jahren für die wissenschaftliche Literaturversorgung dürfte in jedem Fall momentan selbst den hellsichtigsten Beobachtern des wissenschaftlichen Publikationsmarktes schwer fallen. Insofern mutet die Forderung Christian Sprangs, das Strategiepapier sollte entsprechende Aussagen treffen, reichlich überzogen an. Dass der „fragile“ freie Publikationsmarkt vor massiven Bereinigungen, Konsolidierungen und den Auswirkungen von Finanzkrisen gefeit ist, eine Gefährdung oder Destabilisierung der Informationsversorgung der Wissenschaft allein über kommerzielle Kanäle also dauerhaft ausgeschlossen bleibt, scheint eher unwahrscheinlich. Sollte es aber wirklich zu Brüchen kommen, könnte der kurzfristige Effizienzgewinn langfristig zu teureren Zugangssicherungskosten führen. Schwächelnde, aber systemrelevante Marktakteure könnten in einem solchen Szenario auf ihre Systemrelevanz pochen und die Abhängigkeit der öffentlichen Wissenschaft mit diesem Argument als Überlebensversicherung einsetzen. Daher scheint aus Sicht der Wissenschaft eine zunächst teurere Parallelstruktur auf lange Sicht die verlässlichere Variante.

Allerdings lehnt der Börsenverein den Grünen Weg weitgehend ab. Er stützt sich dabei auf die jüngst publizierte PEER-Studie (PDF), freilich ohne den Hinweis, dass diese eher wissenschaftssoziologisch Einstellungen der Community untersuchte. Zudem weisen die Autoren der Studie selbst darauf hin:

„It is, therefore, not possible to ascertain whether the sample of researchers included in our study, in either phase, is broadly representative of the wider population of European researchers.” (S.92)

Sie ist also „wissenschaftlich neutral ausgewertet”, jedoch in ihrer Aussagekraft nicht unbedingt verbindlich. Man kann immerhin davon sprechen, dass die befragten Wissenschaftler – übrigens disziplinär sehr unterschiedlich ausgeprägt – die traditionelle Publikation in Zeitschriften der Erstpublikation in Repositorien vorziehen. Über die Einstellung zu einer möglichen Zweitveröffentlichung, der ja eine traditionelle Erstpublikation vorausgeht, sagt die Studie dagegen nichts.

Die Aussage Christian Sprangs

„So fallen bei Errichtung und Betrieb von Repositorien, in denen auf dem "Grünen Weg" Open Access-Zweitveröffentlichungen von bereits verlegten wissenschaftlichen Beiträgen erfolgen, für die öffentliche Hand erhebliche Kosten an.“

ist so richtig wie trivial. Ob ein akuter Investitionsstopp angesichts bereits seit Jahren umfänglich geleisteter Infrastrukturmaßnahmen die bessere Wahl wäre, muss zwar den Börsenverein nicht kümmern. Aber die Öffentlichkeit als Geldgeber. Fakt ist, dass die deutsche Wissenschaftslandschaft in großem Maße bereits mit einer solchen Infrastruktur versehen ist. Fakt ist auch, dass eine dazu parallele zusätzliche Finanzierung der Erstpublikation nach dem für die Verlage höchst lukrativen Author-Pays-Modell tatsächlich immense zusätzliche Kosten aufwirft und die Abhängigkeit von Gedeih und Verderb dieser kommerziellen Akteure weiter erhöht.

Da aber die wissenschaftliche Publikationslandschaft für die Erstveröffentlichung offensichtlich gut funktioniert („Jahr für Jahr verarbeiten die weltweit gut 2.000 wissenschaftlichen Zeitschriftenverlage mit ihren 110.000 Mitarbeitern mehr als 3 Millionen Artikel“) scheint es für die Wissenschaft tatsächlich hilfreicher zu sein, die Zweitveröffentlichung nach dem Grünen Weg in Verbindung mit einem entsprechenden Zweitveröffentlichungsrecht zu fördern. Der Wissenschaftler als Urheber würde zusätzlich in seinen Rechten gestärkt, was ebenfalls ein immer wieder erklärtes Ziel des Börsenvereins ist. Selbstverständlich ist es notwendig, das Verfahren so zu gestalten, dass die Verlage überleben können. Die in der Stellungnahme erwähnten „Dienstleistungen der zweiten Generation“ (S.3) dürften dabei zum neuen Kerngeschäft werden.

Hinsichtlich der Urheberrechtsschranken für Wissenschaft und Bildung folgt die Stellungnahme der allgemeinen Argumentationslinie des Börsenvereins:

„Die im KII-Papier geforderten Ausweitungen von Schrankenbestimmungen wie § 52a UrhG und § 52b UrhG würden dazu führen, dass Lehrbücher und wissenschaftliche Monographien, gleich ob gedruckt oder digital, nicht mehr auf privatwirtschaftlicher Basis angeboten werden könnten.“ (S.8)

Die Stellungnahme geht davon aus, dass die Schrankenregelungen zu einem generellen Ausstieg deutscher Wissenschaftsverlage aus dem Markt für Lehrbücher und Wissenschaftsmonographien kommen würde. Dem wird ein Negativszenario „verstaatlichter Strukturen“ entgegengestellt, in dem sich die wissenschaftliche Literaturversorgung „sicherlich deutlich verschlechtern“ würde. Die Zukunft Deutschlands im globalen Wissenschaftswettbewerb scheint in Gefahr.

Es ist verständlich, dass der Börsenverein die Rechte vor allem der kommerziellen Verwerter soweit wie möglich stärken möchte und dafür auch jede Argumentation heranzieht, die passt. Dies ist das Kennzeichen interessengeleiteter Diskurse. Es ist zudem richtig, dass sowohl die Praxis der deutschen Wissenschaftsförderung wie auch das KII-Papier genügend Angriffspunkte für solche Argumentationen liefern.

Die Frage ist, inwiefern die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen und Prognosen Allgemeingültigkeit beanspruchen können. Die momentan sehr aggressive Linie des Börsenvereins verläuft deutlich jenseits eines Willens zur Objektivität wie zum Denken in Alternativen.

Unklar ist, ob diese Eindimensionalität den Adressaten der Lobbyarbeit in vollem Ausmaß bewusst ist. Wir befinden uns vor dem Hintergrund des Dritten Korbs in einer Situation, in der der wissenschaftsurheberrechtliche Rahmen für die nächsten Jahre ausgehandelt wird. Wir stehen zudem vor der Situation, dass zu den Schrankenregelungen § 52a und § 52b UrhG wegweisende Gerichtsentscheidungen zu erwarten sind, die den gesetzgeberischen Umgang mit den wissenschafts- und bildungsurheberrechtlichen Aspekten bei der laufenden Reform prägen werden. Dem vom Börsenverein erklärten Ziel der weitgehenden Aufhebung der Schrankenregelungen kämen entsprechende Urteile sehr zupass. Insofern ist der Grund für den massiven öffentlichkeitswirksamen Druck des Börsenvereins angesichts der laufenden Verfahren nachvollziehbar.

Betroffen sind von den anstehenden urheberrechtlichen Weichenstellungen die kommerziellen Wissenschaftsverlage in gleicher Weise wie die öffentlichen Wissenschaftsinstitutionen sowie die Einzelwissenschaftler. Gerade für letztere erweist sich dieser Prozess aber häufig als schwer durchschaubar und überkomplex. Inwiefern ein Argument interessengeleitet und sachlich richtig ist, bleibt für den einzelnen Wissenschaftler oft schwer einzuschätzen. Das gilt übrigens auch für Aussagen der Gegenseite.

Wichtig scheint mir in diesem Zusammenhang, dass das Grundanliegen eines Interessenausgleichs präsent bleibt. Diese schwierige Rolle kommt vermutlich auf kurze Sicht vor allem den Gerichten zu. Die offensichtlich derzeit vom Börsenverein gesuchte argumentative  Eskalation im Prozess läuft diesem Ziel bedauerlicherweise grundsätzlich zuwider.