IUWIS Workshop 2011
IUWIS ist angesiedelt am Institut für Bibliotheks- und Informations-
wissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin.
Kein Eilurteil gegen YouTube
Das Landgericht Hamburg wies am 27.08.2010 einen Eilantrag der GEMA und anderer Verwertungsgesellschaften gegen YouTube mangels Eilbedürftigkeit zurück (Aktenzeichen 310 O 197/10). Seit April 2009 besteht keine Nutzungsvereinbarung mehr über urheberrechtlich geschütztes Musikrepertoire zwischen den Verwertungsgesellschaften und YouTube. Nach dem Scheitern der Lizenzverhandlungen (siehe zum Beispiel tagesschau.de vom 10.05.2010, "GEMA bricht Verhandlung mit Videoportal ab") forderte die GEMA mit einem Antrag auf Einstweilige Verfügung YouTube auf, rund 600 Werke zu löschen oder zu sperren.
Das in einer Pressemitteilung des Hanseatischen Oberlandesgerichts bekannt gemachte Urteil enthält zwei klare Hinweise: Erstens weist das Landgericht Hamburg darauf hin, „dass viel dafür spreche, dass den Antragstellerinnen prinzipiell ein urheberrechtlicher Unterlassungsanspruch gegen die Antragsgegnerin zusteht. Es liege nahe, dass die Antragsgegnerin zumutbare Prüfungspflichten bzw. Maßnahmen zur Verhinderung erneuter Rechtsverletzungen nicht wahr- bzw. vorgenommen habe.“ Die gesetzlichen Grundlagen solcher „zumutbaren Prüfungspflichten bzw. Maßnahmen zur Verhinderung erneuter Rechtsverletzungen“ bleiben jedoch ungenannt (siehe auch unten). Zweitens hebt das Landgericht Hamburg ausdrücklich hervor, dass ein Hauptsacheverfahren nur dann angestrengt werden müsse, „sofern es den Beteiligten nicht gelingt, sich außergerichtlich zu einigen.“ Darauf ging die federführende GEMA in einer ersten Reaktion gestern nicht ein. Vielmehr wurde in der Pressemitteilung angekündigt, dass der Unterlassungsanspruch gegen YouTube „nunmehr in einem Hauptsacheverfahren geltend zu machen“ sei. Google-Sprecher Kay Oberbeck hingegen wurde nach der Urteilsverkündung von heise online wie folgt zitiert: „Eine Lösung hierfür kann unserer Meinung nach nur am Verhandlungstisch erfolgen. Wir laden die Gema daher ein, an diesen zurückzukehren.“
Sollten allerdings die Verwertungsgesellschaften mit der GEMA an der Spitze weiter auf den Gerichtsweg vertrauen, wäre aller Wahrscheinlichkeit nicht nach einem erstinstanzlichen Urteil des Landgerichts Hamburg Schluss. In den letzten Jahren fiel allein das Landgericht Hamburg damit auf, Überwachungspflichten von Forenbetreibern festzstellen (siehe dazu zum Beispiel Stephan Ott, Haftung für Embedded Videos von YouTube und anderen Videoplattformen im Internet, ZUM 2008, S. 556-564). Der Internetkonzern Google als Eigentümer von YouTube würde es dann wohl auf eine höchstgerichtliche Klärung ankommen lassen. Ähnlich wie bei dem Streit um die Google Bildersuche ("Thumbnails"), die der Bundesgerichtshof schließlich nicht beanstandete (siehe iuwis-Berichte zum Urteil und von DGRI-Fachausschusssitzung), ist mit der GEMA-Klage eine wesentliche Grundlage diesmal des Geschäftsmodells von YouTube angegriffen.
Ein anderer Knackpunkt ist aber zugleich, dass Verwerter wie die GEMA sowie Musiker und Komponisten zuvorderst ein Interesse daran haben, dass ihre Werke so weit wie möglich in der Öffentlichkeit verbreitet werden können. Selbst falls also die GEMA und die anderen Verwerter endgültig gerichtlich obsiegen würden, wäre die Durchsetzung eines Unterlassungsanspruchs für zigtausende Clips nicht ohne weiteres folgerichtig (siehe dazu auch den Artikel „Der Tod der YouTube-Disco“ in der Tageszeitung „taz“ vom 26.08.2010).
Die Auseinandersetzung wird nicht nur aus rechtlicher Perspektive mit Spannung verfolgt. Das Internet-Videoportal wurde erst vor etwas mehr als fünf Jahren in Kalifornien gegründet und erfreut sich auch in Deutschland einer rasant wachsenden Beliebtheit. Seit 2006 gehört YouTube dem amerikanischen Internetunternehmen Google, dem teils massive Verletzungen des deutschen Urheber- und Datenschutzrechts vorgeworfen wird. Um gegen YouTube vorzugehen, hat sich auf der anderen Seite die deutsche Verwertungsgesellschaft GEMA mit sieben weiteren Verwertungsgesellschaften aus Europa und Amerika zusammengeschlossen. Dieser Verbund repräsentiert nach Angaben der GEMA etwa 60 Prozent des Weltrepertoires der Musik. Dank steigender Zugriffszahlen kann Youtube offenbar auch mehr Werbeerlöse erzielen. Wie daran die Urheber und Verwerter angemessen beteiligt werden können, steht im Mittelpunkt der Streitigkeit. Nach dem weithin aus vordigitaler Zeit stammenden Urheberrechtssystem fordert die GEMA eine Vergütung pro abgerufenem Film- oder sonstigen Musikclip. Derweilen setzte YouTube bisher auf eine pauschale Beteiligung der Rechteinhaber an den Werbeeinnahmen.
Das massenhafte Einstellen urheberrechtlich geschützter Werke auf YouTube stellt die Rechteinhaber wie vor allem die Verwertungsgesellschaften vor grundsätzliche Probleme. Die Plattformbetreiber („Hosting Provider“) trifft nach geltender Rechtslage keine Überwachungs- und Prüfpflichten. Die GEMA wie auch andere Rechteinhaber können YouTube nur im Einzelnen auf rechtswidrige Uploads hinweisen und dann eine Herunternahme von der Website verlangen; YouTube stellt eigens dazu ein Webformular für Urheberrechtsbeschwerden auf seiner Website bereit. Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist auch das Begehren der GEMA bisher auf Unterlassen begrenzt, nicht aber etwa auf Schadensersatz für die seit April 2009 ohne Lizenz eingestellten Videoclips. Ob darüber hinaus eine Störerhaftung in Betracht kommen könnte, ist ungeklärt.
Generell stellt sich zudem die technische Frage, wie wirksam ein Verbot von Zugriffen aus Deutschland durchgesetzt werden kann. Werden für Rechtsfragen im Internet deutsche Insellösungen geschaffen, könnten deutsche Internetnutzer verstärkt nach Möglichkeiten suchen, dass das eigene Surfen nicht mehr dem deutschen Staatsterritorium zuordenbar macht.