Die Tat der Ahnungslosen? Christoph Keese stolpert durch das "Urheberrecht für das 21. Jahrhundert"

Ein Kommentar von Ben Kaden

Die Debatte um das Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft sieht sich heute um einen Beitrag aus einer eher ungewohnten Richtung erweitert. Christoph Keese, zuständig für "Public Affairs" bei der Axel Springer AG, versucht in seinem Weblog Der Presseschauder in großer Ausführlichkeit das gestern publizierte Positionspapier "Ein Urheberrecht für das 21. Jahrhundert" demontieren und bedient sich dabei, wie Andrea Kampuis bei Twitter feststellt, eines so genannten Strohkopfargumentes: Man wirft dem Gegenüber Ahnungslosigkeit vor. Darüber hinaus liefert Keese einige Einwände, die aber beispielsweise in Hinblick auf § 52a UrhG mehr einem Meinungsbild entsprechen:

„Während im Bundestag ernsthaft erwogen wird, § 52a wirklich auslaufen zu lassen, behauptet die Erklärung, Bibliotheken und Archive stünden den Urhebern schutzlos gegenüber. Dabei ist das Gegenteil richtig."

Die genannte Erwägung lässt sich eigentlich auf konkrete rechtspolitische Akteure im Bundestag reduzieren, ist also nicht, wie impliziert, Konsens. Hier ist noch viel zu diskutieren. Die Haupterwägung zum ersatzlosen Wegfall kommt in diesem Fall, dies nur nebenbei, vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Die Behauptung der "Schutzlosigkeit" liest Keese ebenfalls exklusiv. In der Erklärung geht es an dieser Stelle weniger bombastisch um eine konkrete rechtspraktische Unsicherheit:

„Archivaren fehlt die klare urheberrechtliche Grundlage, ihrem gesellschaftlichen und gesetzlichen Auftrag für die Sammlung, Bewahrung und öffentliche Zugänglichmachung nachzukommen.“

Dass diese nicht durch die von ihm angeführten Paragraphen § 52a UrhG und § 52b UrhG hinfällig wird, zeigen die jüngste Rechtssprechungsgeschichte und natürlich die archivarische, bibliothekarische und dokumentarische Praxis. Seine Rolle als Lobbyist spielt Keese in diesem Zusammenhang spätestens dann aus, wenn er das Anliegen der Erklärung völlig ignoriert und im Argumentationsverlauf deutlich deplaziert die Vergütungsfrage stellt, die die Erklärung der Digitalen Gesellschaft an dieser Stelle aber überhaupt anspricht. Neben dem "Strohkopfargument" bedient er sich eines anderen rhetorischen Kniffs: dem Drehen und Wenden eines Arguments, bis es angreifbar wird. So kann er die Forderung nach einer Art "Open Access" für über Gebührengelder finanzierte Inhalte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit dem Hinweis "Falsches Gesetz!" abkanzeln:

„Wer einen solchen Satz in eine Erklärung zum Urheberrecht schreibt, gibt damit zu erkennen, dass er mit dem Gesetz nicht vertraut ist."

Falsch. Wer wie die Erklärung schreibt:

„Gebührenzahler frustriert es, die Erstellung von Inhalten durch den Öffentlichen Rundfunk zu finanzieren, ohne diese Inhalte selbst zum Zeitpunkt ihrer Wahl konsumieren oder nachnutzen zu dürfen.“

benennt ein urheberrechtlich durchaus relevantes Desiderat. Die Erklärung betont im Übrigen an keiner Stelle, dass ihre Ziele ausschließlich in Rahmen und Reichweite der geltenen Gesetzgebung zu sehen sind.

Schließlich ist Keeses Entgegnung auf die Feststellung der Erklärung:

„Lehrer und Lehrerinnen verzweifeln an den Einschränkungen, die ihnen bei der Herstellung und Verbreitung digitaler Unterrichtsmaterialien begegnen."

von Belang. Ob "Verzweiflung" wirklich die angemessene Zustandsbeschreibung ist, bleibt dahingestellt. Die Erfahrung zeigt aber, dass eine erhebliche Rechtsunsicherheit bei vielen Lehrern besteht und dass der Einsatz digitaler Medien im Unterricht durch das bestehende Urheberrechtsgesetz nicht adäquat angesprochen wird. Nicht Paragraphenreiterei (bzw. Paragraphen-Dropping) führt hier zum Ziel, sondern diese Unsicherheit ernstzunehmen und die Anforderungen der Praxis auf die Möglichkeiten des Gesetzes zu reflektieren. Keese wählt einen anderen Weg und landet prompt wieder bei der Vergütung, um die es auch an dieser Stelle in der Erklärung nicht ging. Man kann dieses Ausblenden von Vergütungsfragen als thematische Lücke der Erklärung berechtigt benennen und kritisieren. Ein Kommentator weist denn auch darauf hin. Daraus aber die Inkompetenz des Gegenübers abzuleiten ist diskursethisch schlicht unlauter. Schuld an den Problemen der Schulpraxis sind für Keese übrigens eindeutig die Schulbehörden und Universitäten, also die direkten Verhandlungspartner der Lehrmittelanbieter. Diese agieren einfach zu knauserig. Und zudem gibt es natürlich auch (wo, durch wen, in welchem Umfang?) Urheberrechtsverletzungen, die kompensiert werden müssen:

„Sie [die Schulbehörden] müssen aber auch akzeptieren, dass Lehrbuchverlage erheblichen Schaden durch digitalen Missbrauch ihrer Titel an Schulen und Hochschulen erleiden und deswegen auf faire Bezahlung angewiesen sind."

Für Keese spricht immerhin, dass er den Topos der "Kostenlosmentalität" außen vor lässt. Die Aussagen Christoph Keeses zu den Schrankenregelungen weisen ihn dagen als nicht zwingend heimisch im Umgang mit dem Urheberrechtsgesetzestext aus. Auch hier erfolgt blindes Paragraphen-Dropping aus dem Inhaltsverzeichnis, wo sich gerade der Bezug zu § 52a und § 52b doch angeboten hätte. Die Initiatoren der Erklärung haben vermutlich kein Problem damit, "dass behinderte Menschen Privilegien genießen (§ 45a)". Die Aufzählung der § 45 bis 47 UrhG reicht jedenfalls nicht, um Keeses tadelnde Schlussfolgerung abzustützen:

„Im genau gegenteiligen Sinn des Gesetzes verwenden die Autoren der Erklärung den Schrankenbegriff – ein weiteres Indiz dafür, dass sie das Gesetz nicht kennen, das sie reformieren wollen."

Unter dem Strich bleibt festzuhalten, dass ein möglicherweise etwas idealistisch formulierter Aufruf, der nichts anderes unternahm, als bestimmte Interessen zu artikulieren, in Keese einen Kommentator fand, dem es nahezu ähnlich in vielen Punkten darum geht, bestimmte Interessen zu artikulieren. Das ist im Sinne eines Interessenausgleichs sicher begrüßenswert. Leider wirken Keeses Überschrift "Die vielen sachlichen Fehler in der Erklärung der Digitalen Gesellschaft", die Einleitung sowie die Zuspitzung des "Strohkopfargumentes" wenig konstruktiv. Und, wenn man den tatsächlichen Inhalt seiner Argumentation betrachtet, auch nicht sonderlich überzeugend.