Aus der Literatur: Julian Waiblinger (2012): "Plagiat" in der Wissenschaft

Rezension zu:

Julian Waiblinger: „Plagiat“ in der Wissenschaft (UFITA-Schriftenreihe, Band 262), Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2012, 196 S., ISBN 978-3-8329-6905-9, EUR 52,00.(Seite zum Titel beim Verlag)

In der Wissenschaft wird nicht selten angenommen, dass Plagiate einem urheberrechtlichen Reglement unterworfen wären. Doch die begriffliche und rechtliche Einordnung von Plagiatsfällen ist mit mehreren grundlegenden Problemen behaftet, die Julian Waiblinger in seiner Promotionsschrift „‚Plagiat‘ in der Wissenschaft“ aufgegriffen hat. So bringt das Plagiat – wie schon im initialen Teil des Buches referiert wird – zuerst einen moralischen Vorwurf zum Ausdruck. Ursprünglich war es der römische Poet Martial, der im referenzlosen Vortrag fremder Werke eine Versklavung, gar einen strafrechtlich determinierten Menschenraub (plagium) bemängelte. Auch Josef Kohler konstatierte ein „literarisches Schmarotzertum“ schon bei den altgriechischen Rhetorikern rund um Platon. Unverändert Bestand für die Wissenschaftsethik hat Hegel, der die Anerkennung der Urheberschaft als „Sache der Ehre“ beschwor.

Im geltenden Urheberrechtgesetz fehlt eine Legaldefinition des Plagiats. Waiblinger arbeitet heraus, dass auch die Gerichte das Plagiat allenfalls vereinzelt in obiter dicta erwähnen. In Ermangelung eines urhebergesetzlich oder judikativ etablierten Plagiatsbegriffs irritiert es den Leser, soweit im ersten Buchteil ein „Tatbestand des Plagiats“ behandelt wird.

Der zweite Buchteil mit 125 Seiten bildet den Hauptteil der Arbeit. Waiblinger erörtert vor allem den urheberrechtlichen Schutz wissenschaftlicher Schriftwerke. Es erweist sich dabei als zentrales Problemfeld, dass die von Plagiatoren übernommenen wissenschaftlichen Leistungen nicht per se urheberrechtlich geschützt werden. Dem Autor ist es insoweit gelungen, den unvermindert geführten Streit um urheberrechtliche Prinzipien zu verdeutlichen. Die Mutter aller Urheberrechtsfragen stellt sich: Welche Eigenschaften typischer wissenschaftlicher Schriftwerke begründen den Werkschutz?

Im Prinzip bestreitet auch Waiblinger nicht, dass wissenschaftliche Ideen, Erkenntnisse, Theorien, Gedanken oder Formeln urheberrechtlich nicht geschützt werden. Nicht ohne weiteres nachvollziehbar bleibt dann allerdings sein Transfer, dass ausweislich der modernen Kreativitätsforschung eine urheberrechtlich hinreichende individuell kreative Leistung schon im Entstehungsprozess eines wissenschaftlichen Textes begriffen werden soll. Vorzugswürdig bleibt insofern die herrschende Meinung, die von der Schutzunfähigkeit wissenschaftlicher Inhalte ausgeht.

Ähnlich vermag  auch die (regelmäßig fehlende) persönliche Formgebung von Wissenschaftspublikationen einen Werkcharakter nicht zu konstituieren. Unter diesem Gesichtspunkt ist die auch von Waiblinger aufgegriffene Position anzuzweifeln, wissenschaftlichen Texten Urheberschutz zuzubilligen, die in der üblichen Fachsprache verfasst sind und dem disziplinspezifischen Aufbau folgen. Die äußere Form wissenschaftlicher Schriftwerke ist gewöhnlich derart standardisiert und harmonisiert, dass für individuelle Formkreativität und Schöpfungskraft gerade kein Raum verbleibt.

Eine überzeugend am Schutzzweck des Urheberrechts ausgerichtete Leitentscheidung traf der Bundesgerichtshof in der Rechtssache Staatsexamensarbeit (Az. I ZR 106/78 vom 21.11.1980). Gegen diese Judikatur kann hoffentlich auch nicht neuere Rechtsprechung eingewendet werden, die für bestenfalls durchschnittliche Alltagstexte wie etwa Bedienungsanleitungen, Dienstanweisungen, Geschäftsbedingungen oder Schriftsätze zu einer mitunter nur wenig konturierten Ausdehnung des Urheberrechts beiträgt. Demgegenüber zeigt Waiblinger als ein eingängig positives Beispiel für ein schützenswertes wissenschaftliches Werk im Sinne von § 2 UrhG die in der Gesetzbegründung angeführten Atlanten auf.

Wenn also weder die wertvollen wissenschaftlichen Inhalte und Leistungen, noch die typische Ausdrucksform wissenschaftlicher Publikationen urheberrechtlichen Schutz begründen können, bedarf es eines Kunstgriffs. Obschon in der Reichweite und in den weiteren Einzelheiten umstritten, soll die „innere Form“ den urheberrechtlichen Schutz von Wissenschaftstexten begründen können. Zur Überwindung der urheberrechtlichen Dichotomie von Form und Inhalt wird insoweit vor allem auf Ulmers Gewebetheorie verwiesen. Dessen Anhängern schließt sich Waiblinger an und konstatiert auf Seite 94:

„Auch wenn die einzelnen wissenschaftlichen Erkenntnisse als solche frei sind, erstreckt sich der urheberrechtliche Schutz doch auch auf die individuelle inhaltliche Verarbeitung des wissenschaftlichen Gedankenguts. Schutzgegenstand ist damit die individuelle inhaltliche Verbindung aus formalen und inhaltlichen Elementen des wissenschaftlichen Schriftwerkes.“

Konkret ist eine solche innere Formgebung anzunehmen, wenn an sich freie wissenschaftliche Inhalte eine bestimmte Anordnung, Strukturierung, Verknüpfung, Systematisierung und Auswertung aufweisen. Trotz der von Waiblinger kritisierten Zurückhaltung und Inkonsistenz des Bundesgerichtshofs wird man den Schutz wissenschaftlicher Schriftwerke aufgrund innerer Form als abgesichert betrachten können. Zum Beleg dafür mag das im Ergebnis spektakuläre Urteil des OLG Frankfurt am Main vom 27.03.2012 (Az. 11 U 66/11) dienen, dass aus Sicht Haberstumpfs „ein gerade mustergültiges Beispiel für die wissenschaftsfeindlichen Tendenzen in der deutschen Rechtsprechung“ (ZUM 2012, 529, 530) bilde.

Nicht unbeachtet bleiben darf zudem die Harmonisierung der Schutzuntergrenze durch europäische Rechtsetzung und Rechtsprechung. Waiblinger erkennt die Schwierigkeit, den kreativen Wert eines wissenschaftlichen Werks zu messen. Das Urheberrecht ist keine Qualitätskontrollinstanz für Wissenschaft, ähnlich wie es schon länger für Kunst anerkannt ist. Vor diesem Hintergrund ist es angreifbar, wenn Urheberschutz unter dem Blickwinkel (über-)durchschnittlicher wissenschaftlicher „Leistung“ (Seite 99) anstelle des individuellen Schöpfungsbegriffs diskutiert wird. Die nur spärlichen Hinweise Waiblingers auf EuGH-Entscheidungen (insbesondere EuGH ZUM 2009, 945 – Infopaq I) und andere einschlägige EU-Rechtsakte zu Texten sind wohl dahin zu deuten, dass sich zum Werkbegriff bei wissenschaftlichen Publikationen noch keine europarechtliche Rechtsetzung entwickelt hat.

Der recht aktuelle Fall vor dem OLG Frankfurt illustriert auch, wie unzulänglich Konstruktionen sind, die schließlich mit Schrankenregelungen eine urheberrechtlich ebenso wie der Wissenschaftsfreiheit gerecht werdende Gesamtlösung zu erreichen suchen. So wird zunächst eher ergebnisorientiert der urheberrechtliche Schutz wissenschaftlicher Publikationen hergestellt (s.o.), um dann feststellen zu müssen, dass die Diskursverfügbarkeit wissenschaftlicher Gedanken und Erkenntnisse doch von Monopolisierungen bedroht ist, auch weil das urhebergesetzlich vorhandene Instrumentarium an Schrankenbestimmungen keine Abhilfe schaffen kann. Detailliert behandelt Waiblinger mehrere massive Probleme vor allem der Zitierfreiheit (§ 51 UrhG) wie beispielsweise deren enge Tatbestandsvoraussetzungen, den Drei-Stufen-Test, das Regel-Ausnahme-Verhältnis oder die Durchsetzbarkeit bei Digital Rights Management (DRM).

Für paraphrasierte Übernahmen fremder Textpassagen erweist sich ein wissenschaftsspezifisch größtes Manko in der Urheberrechtslage. Das Dilemma wird einerseits beschrieben durch das Änderungsverbot beim Zitieren gemäß § 62 UrhG (insbesondere das inhaltsgleiche Paraphrasieren ist auch deshalb unzulässig) und auf der anderen Seite würde auch eine freie Benutzung nach § 24 UrhG schon deshalb nicht weiterhelfen, da insoweit keine Pflicht zur Namensnennung bzw. Quellenangabe analog § 63 UrhG besteht. Wie Waiblinger zutreffend bemerkt, ist eine ausdrückliche Bezugnahme auf andere wissenschaftliche Schriftwerke erwünscht, in einer Vielzahl an Fällen jedoch bevorzugt in eigener Umschreibung des rezipierenden Wissenschaftlers. Unter dem Eindruck der prominenten Plagiatsskandale aus der jüngeren Vergangenheit instruktiv sind auch die Ausführungen zu sog. „Scheinzitaten“ bzw. „Bauernopfer-Zitaten“: Es ist vor allem wissenschaftsethisch bedenklich, wenn der Eindruck erzeugt werden soll, der Text vor und nach einer zitierten Passage wäre eigene Reflektion.

Unter der Abschnittsüberschrift „Ungeschriebene Tatbestandsmerkmale“ des § 51 UrhG wird angeführt, dass das Zitat keine Substitutionskonkurrenz darstellen dürfe. Ob eine unzumutbare Konkurrenzsituation eintritt, will Waiblinger wesentlich von der Art und Weise der Zugänglichmachung des zitierenden Werks abhängig machen. Das ist fragwürdig. Beispielsweise bei den Bildwissenschaften stünde es letztlich zur Disposition, inwieweit Fachartikel oder Dissertationen mit Bildzitaten überhaupt elektronisch publiziert werden können. Auch ist der Lösungsvorschlag Waiblingers nicht überzeugend: Wenn elektronisches Publizieren und Open Access-Journals immer mehr zum Regelfall werden, sollten Zugangsbeschränkungen und begrenzte Öffentlichkeit endgültig der Vergangenheit angehören. Jedenfalls aus Sicht der Wissenschaftler, die in erster Linie eine weite Verbreitung und Rezeption ihrer Publikationen anstreben, verwundert im Folgenden die fachjuristische Argumentation, dass durch findsame Suchmaschinen vermehrt Publikationen aufgefunden werden und sich damit eine direkte Substitutionskonkurrenz ergeben könnte.

Im Wissenschaftsalltag von hoher Bedeutung ist das Urheberpersönlichkeitsrecht auf Anerkennung der Urheberschaft nach § 13 UrhG. Nach herrschender Auffassung besteht es aus einem wesentlichen, unveräußerlichen Kern. Im Rahmen sog. Ghostwriter-Vereinbarungen soll der wahre Autor zwar schuldvertraglich wirksam auf die Nennung seines Namens verzichten können, eine fortdauernd durchsetzbare Bindungswirkung daraus aber nicht erwachsen. Bedeutsam sind die Hinweise Waiblingers auf wissenschaftsspezifische Normen. So vermittelt die Hochschulgesetzgebung etwa wissenschaftlichen Mitarbeitern und Doktoranden ein (nicht werkbezogenes) Recht darauf als Mitautor vermerkt zu werden, soweit sie an einer Fachpublikation entsprechend mitgewirkt haben. 

Angesichts all dieser eklatanten Probleme im Urheberrecht ist das Petitum Waiblingers willkommen, sich gleichwertig neben dem Urheberrecht auch dem Wissenschaftsrecht zu widmen, siehe insofern den Buchuntertitel oder zum Beispiel Seite 17: „Beide Rechtsregime sollen in vorliegender Arbeit im Hinblick auf den Schutz wissenschaftlicher Schriftwerke untersucht werden.“ Schade ist, dass der einschlägige wissenschaftsrechtliche Corpus im letzten Buchteil nicht annähernd in der Tiefe wie im Urheberrechtsteil analysiert wird. Eher überblicksartig referiert der Autor die unterschiedlichen Rechtsquellen und -verfahren in der Wissenschaftsgesetzgebung, an den Hochschulen sowie an den Forschungsinstitutionen. Angerissen werden Themenfelder wie etwa einschlägiges Soft Law und Fördervertragsrecht oder Friktionstendenzen von wissenschaftsspezifischem Sonderrecht und allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht. Es liegt nahe, dass die nach und nach in den 90er-Jahren kodifizierten Regelungsansätze einer eingehenden rechtswissenschaftlichen Evaluation und Weiterentwicklung zugeführt werden sollten. Eine erste Ideensammlung kann insofern in Waiblingers finalem Unterkapitel erblickt werden, das – etwas dubios – mit „Zur Effektivität der wissenschaftsinternen Regelwerke“ überschrieben ist.  

 

Die Promotionsschrift „‚Plagiat‘ in der Wissenschaft“ zeichnet sich aus durch eine glasklare Struktur sowie durch für das Urheberrecht präzise formulierte und dienlich etwa auf Textplagiate eingegrenzte Forschungsfragen. Zu begrüßen sind die klar eingenommenen Positionen in urheberrechtswissenschaftlich unvermindert heftig geführten Richtungsdiskussionen. Mit nur drei Seiten Einleitung und der Zusammenfassung am Ende auf vier Seiten wird konsequent auf peripheren Ballast verzichtet. Im Ringen um die Schutzfähigkeit wissenschaftlicher Werke (und Leistungen) hat Julian Waiblinger einen wichtigen urheberrechtswissenschaftlichen Beitrag geleistet. Nach der Lektüre drängt sich die Frage auf, ob der Werkbegriff der geeignete Kulminationspunkt sein sollte, um daran einen wissenschaftsadäquaten Plagiatsschutz für Fachpublikationen zu knüpfen. Zugleich liefert das Buch für Hochschulen und andere Wissenschaftseinrichtungen ein komprimiertes, kompetentes Nachschlagewerk.

 

Diese Rezension erschien zuerst in der Zeitschrift für Medien- und Urheberrecht Nr. 6/2013 (ZUM 2013, S. 522 f.).