Aufatmen nach BGH-Urteil zur Google-Bildersuche: Suchmaschinenbetreiber haften nur bei Hinweis auf Rechtswidrigkeit
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat heute sein Urteil zur Google Bildersuche verkündet: Die Vorschaubilder (sogenannte Thumbnails) verstoßen demnach nicht gegen deutsches Urheberrecht. Über den vorliegenden Einzelfall hinaus hat sich der BGH generell dazu geäußert, unter welchen Umständen Suchmaschinenbetreiber deutsches Urheberrecht verletzen. Suchmaschinenbetreiber dürfen demnach Bilder als Thumbnails grundsätzlich ohne weiteres anzeigen. Frühestens nachdem Suchmaschinenbetreiber darauf hingewiesen wurden, dass ein indexierter Inhalt rechtswidrig im Internet verfügbar ist, können sie in Anspruch genommen werden.
Zahlreiche Projekte und Dienstleister durchsuchen das Internet nach relevanten Materialien, um eine höhere Sicht- und Auffindbarkeit von Wissen und damit auch einen besseren Zugang zu Bildung und Wissenschaft im digitalen Zeitalter insgesamt herbeizuführen. Dazu entwickeln Forschungsteams beispielsweise sogenannte Webcrawler, um Inhalte im Internet zu analysieren, auszuwerten und für den Nutzer möglichst anforderungsexakt auszuwählen. Solche weithin automatisierten Such- und Auswertungsverfahren hat der BGH nunmehr aus einer dunkelgrauen Gesetzeslage auf ein juristisch belastbares Fundament gestellt.
Vom BGH in Karlsruhe berichtet heute unter anderem auch die Tagesschau mit einem Interview des ARD-Rechtsexperten Karl-Dieter Möllers, siehe weiter die Pressemitteilung des BGH zum Urteil mit dem Aktenzeichen I ZR 69/08.
Der konkrete Fall
Im konkreten Fall wies der BGH die Revisionsklage einer bildenden Künstlerin aus Weimar zurück, die eigene Bilder auf ihrem Internetportal eingestellt hat. Diese Bilder werden von der Google Bildersuche aufgefunden, abgespeichert, zur textgestützten Bilderabfrage indexiert und in einer Trefferliste in Miniaturansichten angezeigt. Die Künstlerin klagte gegen Google auf Unterlassung.
Weitreichende Grundsatzentscheidung
Der BGH hat das abweisende Urteil im Vergleich zu den Vorinstanzen umfassend begründet und zugleich auf die grundsätzliche Bedeutung hingewiesen. Der Vorsitzende Richter Joachim Bornkamm merkte gleich eingangs an: Wäre das Gericht von einer Urheberrechtsverletzung ausgegangen, dann „hätte es große Probleme für die Google Bildersuche gegeben.“ Bislang ist die Urteilsbegründung nur kursorisch in einer Pressemitteilung des BGH angeführt. Die mündlichen Ausführungen des Ersten Zivilsenats von heute deuten aber auf einen erheblichen Schritt zur Weiterentwicklung des Urheberrechts im Internetzeitalter hin.
Suchmaschinen im Lichte des deutschen Urheberrechtsgesetzes
So ist das Gericht nach den Buchstaben des deutschen Urheberrechtsgesetzes davon ausgegangen, dass ein Suchmaschinendienst wie die Google Bildersuche in das Recht auf Vervielfältigung (§ 16 UrhG) und in das Recht auf öffentliche Zugänglichmachung (§ 19a UrhG) eingreift. Indem die Künstlerin Bilder im Internet einstellt, habe sie jedoch stillschweigend ihr Einverständnis zum Ausdruck gebracht, dass ihre Werke in der Google Bildersuche angezeigt werden. Dogmatisch hebt der BGH in diesem Zusammenhang hervor, dass diese stillschweigende Einwilligung keine Lizenz bzw. rechtsgeschäftliche Rechteeinräumung, sondern lediglich eine schlichte Gestattung sei.
Rechtswidrige Inhalte in Suchdiensten
Von hoher Bedeutung jenseits dieses konkreten Einzelfalls aber ist die Frage, wie ein Suchmaschinenbetreiber mit urheberrechtlich geschütztem Material (zum Beispiel Bildern) zu verfahren hat, das rechtswidrig im Internet verfügbar ist. Nach geltendem Urheberrecht darf urheberrechtlich geschütztes Material grundsätzlich nur dann verwendet werden, wenn der Urheber beziehungsweise Rechteinhaber zugestimmt hat oder eine gesetzliche Schrankenregelung dies vorsieht. Eine Einzelprüfung dahingehend, ob die Inhalte von der jeweils berechtigten Person selbst oder mit deren Zustimmung ins Internet eingestellt wurden, ist bei automatisierten Suchläufen in der Regel technisch nicht mit vernünftigem Aufwand realisierbar. Von den Schrankenregelungen ist nach herrschender Auffassung keine auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar.
Haftungsprivilegierung aus E-Commerce-Recht auch beim Urheberschutz
Der auch für das Urheberrecht zuständige Erste Zivilsenat des BGH behilft sich für diese bei automatisierten Suchdiensten übliche Konstellation mit einem Griff in das allgemeine E-Commerce-Recht. Zwar richten sich weder die europarechtlich maßgebliche Richtlinie 2000/31/EG noch das deutsche Telemediengesetz unmittelbar an Suchmaschinenbetreiber, der BGH hält aber die Haftungsbeschränkungen dennoch für anwendbar. Insbesondere in Anlehnung an § 10 TMG kann ein Suchmaschinenbetreiber erst dann in die Verantwortung genommen werden, wenn er von der Rechtswidrigkeit des von ihm genutzten Materials Kenntnis erlangt hat („Notice and take down“-Prinzip). „Vorsorge muss Google also nicht treffen“, ansonsten, so der Vorsitzende Richter Joachim Bornkamm beim Verkündungstermin weiter, wäre das gesamte Suchmaschinen-Modell gefährdet.
Urteil wirft neue Fragen auf
Die weitreichende und grundsätzliche Entscheidung des BGH treibt die fachjuristische Diskussion zu neuen Fragestellungen; nach einer ersten Einschätzung könnten insbesondere folgende Überlegungen von Belang sein:
- Nur kurz ist der BGH darauf eingegangen, dass die Bilder als Thumbnails stark verkleinert und mit nur reduzierter Pixelanzahl angezeigt werden. Unbehandelt bleibt, ob dadurch Urheberpersönlichkeitsrechte (zum Beispiel die Werkintegrität) beeinträchtigt werden.
- Die relevanten Bestimmungen des europäischen E-Commerce-Rechts sowie des deutschen Telemediengesetzes sehen eine Haftung nicht nur für den im Urteil benannten Fall vor, wenn positive Kenntnis über eine rechtswidrige Verwendung besteht (insbesondere also nach einem ausdrücklichen Hinweis). Denn insbesondere gemäß § 10 TMG ist eine Haftung weitergehend auch dann nicht ausgeschlossen, wenn „Tatsachen oder Umstände bekannt sind, aus denen die rechtswidrige Handlung oder die Information offensichtlich wird“. Darauf ging der BGH in der mündlichen Urteilsverkündung und der Pressemitteilung nicht ein. Die Praxis wird zeigen, ob sich einem Suchmaschinenbetreiber eine offensichtliche Rechtswidrigkeit aufdrängen muss und so letztlich bei grob fahrlässiger Unkenntnis doch dessen Haftung begründen könnte.
- Rechtssystematisch näher untersucht werden muss jedenfalls die nun vom BGH eingeführte Einordnung von urheberrechtlichen Sachverhalten und Suchmaschinen in das E-Commerce-Recht. So kommen im Urheberrecht zum Beispiel Unterlassungsansprüchen eine hohe Bedeutung zu, während das E-Commerce-Recht nach den §§ 7 ff TMG Haftungsfreistellungen normiert. Die vom BGH in Bezug genommene jüngste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Adwords-Werbung von Google betraf ein markenrechtliches Verfahren gegen Google Frankreich (EuGH vom 23.03.2010, Aktenzeichen C-236/08) und eine auch insoweit recht neue Ausdehnung von Vorschriften, die bisher ganz vorwiegend unter dem Gesichtspunkt der Haftungsprivilegierung von Access-, Host- und Contentprovidern angewendet wurden. Da für die Anwendung des TMG die zugrunde liegende europäische Richtlinie maßgebend ist, stellt sich weiter die Frage, ob der BGH – wie auch im Adwords-Verfahren – die nun vorgenommene Gesetzesauslegung nicht zuerst dem Europäischen Gerichtshof hätte vorlegen müssen.
- Grundlegend fraglich ist dogmatisch auch, ob das Urteil eine Signalwirkung dahingehend aufweist, dass das urheberrechtliche Grundprinzip des „Opt-in“ aufgeweicht wird. Die Bedeutung konkludenter Einwilligungen bei Internetsachverhalten scheint deutlich gestärkt. Die Vorinstanzen hatten der Künstlerin ein widersprüchliches Verhalten vorgeworfen, wenn für eine hohe Auffindbarkeit der Suchdienste zuerst der Quellcode von Internetseiten optimiert und anschließend gegen die Suchmaschinenbetreiber geklagt werde. Der BGH hat nun ausdrücklich darauf hingewiesen, dass beim Einrichten einer Internetseite technisch die Möglichkeit bestehe, „die Abbildungen ihrer Werke von der Suche und der Anzeige durch Bildersuchmaschinen in Form von Vorschaubildern auszunehmen.“ Der Urheber beziehungsweise Rechteinhaber müsste demnach fortan aktiv tätig werden, um Eingriffe in seine Urheberrechte zu verhindern.
- Ob und wie sich die vom BGH vorliegend explizit vorgenommene Differenzierung in eine „stillschweigende rechtsgeschäftliche Erklärung" und ein schlüssiges Verhalten („ohne rechtsgeschäftliche Erklärung") auf die Rechtspraxis auswirkt, wird ebenfalls einer genaueren Betrachtung bedürfen. Mit diesem Schwerpunkt anberaumt ist zum Beispiel eine Sitzung des Fachausschusses "Internet & eCommerce" der Deutschen Gesellschaft für Recht und Informatik am 14.06.2010 am Institut für Rechtsinformatik der Leibniz Universität Hannover.
- Wird eine stillschweigende Gestattung angenommen, so sind damit wohl nicht „automatisch“ auch etwaige Vergütungsansprüche ausgeräumt. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang vor allem auch die aktuell anhaltende rechtspolitische Debatte, ob nicht gerade Suchmaschinenbetreiber die Inhalte-Anbieter an ihren Erlösen beteiligen sollten.
- In dem vorliegenden Urteil geht der BGH von der Suchmaschine Google Bildersuche aus. Unklar ist, ob und inwieweit die in diesem Urteil entwickelten Grundsätze für Suchmaschinenbetreiber auch auf ähnliche urheberrechtlich relevante Handlungen ausgedehnt werden können. Beispielhaft zu nennen wären Museen, Archive oder Bibliotheken, die Inhalte im Internet durchsuchen, und für weitere Zwecke der Bildung und Wissenschaft indexieren, evtl. katalogisieren, zusammenführen und nutzerfreundlich abrufbar halten.
Für die fachjuristische Erörterung dieser und weiterer Gesichtspunkte sind noch wenige Wochen bis zur Veröffentlichung der Urteilsbegründung abzuwarten.
- Weblog von Thomas Hartmann
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