Aus der Literatur: Rolf Schwartmann (2011): Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht, 2. Auflage
Rezension zu: Rolf Schwartmann (Hrsg., 2011): Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht, 2., neu bearbeitete Auflage. Reihe C.F.Müller Wirtschaftsrecht. Heidelberg, München: C.F. Müller/Verlagsgruppe Hüthig Jehle Rehm GmbH, ISBN: 3-8114-3820-0. (Seite zum Titel beim Verlag)
von Thomas Hartmann
Das Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht ist aus Sicht des Herausgebers Professor Dr. Rolf Schwartmann „von Praktikern für Praktiker geschrieben“. Es ist daher konsequent, das Werk nicht etwa in dem großen Angebot von C. F. Müller Campus zu verorten, sondern es in die Wirtschaftsrecht-Reihe der Verlagsmarke C. F. Müller einzuordnen.
Eine Aufgabe des Praxishandbuches ist sicherlich, Juristinnen und Juristen auf ihrem Weg zum Fachanwalt bzw. zur Fachanwältin für Urheber- und Medienrecht oder für Informationstechnologierecht zu begleiten. Die Forschungsstelle für Medienrecht, die an der Fachhochschule Köln von Schwartmann angeführt wird, veranstaltet in Kooperation mit dem Kölner Anwaltverein auch entsprechende Weiterbildungskurse. Der Herausgeber fiel in den letzten Jahren mehrfach auf durch politisch brisante, meist verfassungsbezogene Gutachten (z. Bsp. „BMWi-Warnhinweisstudie“, Pressemitteilung des Bundeswirtschaftsministeriums vom 03.02.2012) und Positionen (z. Bsp. als Sachverständiger für Urheberrecht in der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des Deutschen Bundestags, dazu u.a. Michaela Voigt bei IUWIS am 30.11.2010). Die gut 25 Bearbeiterinnen und Bearbeiter sind überwiegend Rechtsanwälte, vor allem im Bereich des Medienrechts auch vereinzelt Juristinnen und Juristen aus Aufsichtsbehörden. Mitunter schreiben auch Justitiare aus Medienunternehmen.
Vorab ist die Leistung anzuerkennen, das sich rasant fortentwickelnde Medien-, IT- und Urheberrecht in einem Band zu bündeln. Es kann auch nicht verwundern, dass schon nach drei Jahren eine zweite Auflage erschienen ist. So ist darin etwa bereits die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung berücksichtigt; das Datenschutzkapitel wird dennoch angesichts der EU-Datenschutzreform ante portas weitgehend neu zusammengestellt werden müssen.
Punktgenaue Praxisorientierung und Präzision in einem solch umfassenden Praxishandbuch bedeuten eine echte Herausforderung. In vielen Kapiteln und Abschnitten ist dies gelungen, stellenweise jedoch bleiben die Ausführungen eher einseitig. Die als gemeinhin „übereinstimmende“ deklarierte Würdigung von Streaming als eine nutzerseitig urheberrechtlich relevante Vervielfältigung (Kapitel 24, Randzeichen 145) ist lediglich durch zwei ältere instanzgerichtliche Urteile und mit vereinzelten Literaturstellen belegt.
Damit ist der urheberrechtliche Diskussionsstand zu Streaming noch nicht einmal angedeutet (siehe nur kürzlich EuGH, Urteil vom 04.10.2011, C-403/08 und C-429/08 FAPL). Konsequenterweise führt die Darstellung insoweit auch zu einer massenhaften Kriminalisierung von Nutzerinnen und Nutzern, ohne dass sich dafür bisher eine Rechtspraxis abzeichnet, geschweige denn dafür eine direkte Rechtsgrundlage bestünde. Auffällig ist in diesem Zusammenhang auch, dass aus der Darstellung der Streaming-Technologie in Kapitel acht (Randzeichen 40) nicht die problematische urheberrechtliche Würdigung in den Kapiteln 24 und 32 zu folgen hätte. Trotz des großen Gesamtumfanges des Praxishandbuches wäre auch eine Konkretisierung von Generalverweisen wünschenswert: In Kapitel 32 (Randzeichen 94) wird lediglich auf Kapitel 24 verwiesen. Es dauert, bis der Leser dann in Kapitel 24 den (wahrscheinlich gemeinten) Anknüpfungspunkt unter Randzeichen 145 findet. Dieses Manko beim Querverweis wird verstärkt, weil im Stichwortverzeichnis unter „Streaming“ lediglich Kapitel 32 als Fundstelle angeführt wird, obgleich die Hauptbesprechung anscheinend in Kapitel 24 erfolgen soll.
Auch wenn es im Rechtssinne keinen „Diebstahl“ von geistigem Eigentum geben kann (so aber Kapitel 24, Randzeichen 93), sind die Darstellungen des Kapitels „Urheberrecht und Leistungsschutzrechte“ von Rechtsanwältin Dr. Katja Kuck empfehlenswert. Besonders praxisrelevant sind etwa die Hinweise zum Schöpferprinzip des deutschen Urheberrechts in Unterschied zur amerikanischen „Work made for hire Doctrine“ (siehe dazu für den Hochschulbereich z. Bsp. Sarah Pietsch bei IUWIS „Urheber in Arbeits- und Dienstverhältnissen speziell in Hinblick auf Hochschulprofessoren aus amerikanischer Sicht“). Weil die Einzelurheberschaft in elektronischen und kollaborativen Arbeitsumgebungen an Bedeutung verliert, ist besonders auf die Rechtsfigur der Miturheberschaft gem. § 8 Urheberrechtsgesetz zu achten (S. 967 f.). Instruktiv erweist sich ferner auf den Seiten 988 ff. die Einsortierung aktueller Webformate wie Simulcasting, Demand-Abrufdienste, Pushdienste oder Werkwiedergaben bei Suchmaschinen. Quasi tagesaktuell kann auch auf die Anmerkung zu einem Leistungsschutzrecht für Presseverleger (S. 1024 f.) zugegriffen werden, das Vor- und Nachteile des selbigen anspricht (für die weit überwiegenden ablehnenden Reaktionen siehe stellvertretend nur Thomas Hoeren, verzeichnet hier bei IUWIS).
Mit klarem Votum in das neu eingefügte 25. Kapitel startet Rechtsanwalt Dr. Stefan Sporn, General Manager International Distribution & Copyright Law bei der RTL-Mediengruppe. Sein Bekenntnis (S. 1031): Die Verwertungsgesellschaften seien
„ein unverzichtbarer und integraler Bestandteil eines modernen funktionierenden Urheberrechtssystems, in dem Geistiges Eigentum geschützt wird und zum Schutze des Urhebers und des Nutzers rechtmäßig geordnet verwertet werden kann und darf.“
Auf 15 Seiten werden Leserinnen und Leser sodann kompetent durch das Recht der Verwertungsgesellschaften und durch das Dutzend bestehender Verwertungsgesellschaften geführt.
Mehr Raum nimmt das Verlagsrecht ein im folgenden 26. Kapitel (Bearbeiter ist Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Russ). Zwar deutlich älter als das Urheberrechtsgesetz (1965) ist das Verlagsgesetz von 1901, gleichwohl ist es in der Praxis oftmals nicht weiter von Bedeutung, da es regelmäßig von vertraglichen Abreden verdrängt wird. So ist es für das Praxishandbuch nur folgerichtig, dass auch auf die noch recht jungen Vertragsrechtsregeln im Urheberrechtsgesetz Bezug genommen wird. Es bleibt – zutreffend so der Hinweis in Randziffer 24 auf S. 1053 f. – abzuwarten, ob die dispositiven Vertragsregeln des Urheberrechtsgesetzes wieder stärker im Rahmen etwa von AGB-Kontrollen zurate gezogen werden (siehe z. Bsp. Rechtsprechungshinweise bei IUWIS vom 01.02.2012, vom 29.06.2011). Auch ist sicher von Interesse, ob E-Books unter den Anwendungsbereich des Verlagsgesetzes gefasst werden können (S. 1055 f., Rz. 28).
Neben den in die zweite Auflage neu aufgenommenen Kapiteln zu Verwertungsgesellschaften (25. Kapitel, siehe oben), zur Justizberichterstattung (16.) und zur Musiknutzung in Film- und Fernsehproduktionen (31.) soll Internetpiraterie Anlass geben für das neue Schlusskapitel „Urheberrechtsverletzungen“ (32.). Sebastian Möllmann (Syndicus Brainpool TV GmbH) und Rechtsanwalt Peer Bießmann stellen darin die zivil- und strafrechtliche Konsequenzen von Urheberrechtsverstößen konzentriert dar (Zivilrechtliche Ansprüche ab S. 1271, strafrechtlicher Schutz ab S. 1290), so dass insofern noch teils redundante Beschreibungen etwa in Kapitel 30 (S. 1241 ff.) reduziert werden könnten. Erfreulich im Urheberrechtsverletzungs-Kapitel 32 sind auch die sorgsam abgewogenen Ausführungen zur Praxis der anwaltlichen Rechtsverfolgung in diesem Bereich, etwa im richtig angesetzten Exkurs „Urheberrechtsverletzungen im Internet und die Besonderheiten bei der Anspruchsdurchsetzung“ (S. 1294 ff.). Gut vermittelt werden auch die neuen Vorschriften mit ihren Problemfeldern, so zum Beispiel auf S. 1297 f., wann ein für den Auskunftserteilungsanspruch des § 101 UrhG erforderliches „gewerbliches Ausmaß“ angenommen wird (siehe dazu eingehend Wick [2010]: Inhalt und Grenzen des Auskunftsanspruchs gegen Zugangsanbieter, rezensiert ebenfalls bei IUWIS sowie die Diskussion bei IUWIS). Absehbar könnten Gesetzgeber und Rechtsprechung auch auf Auswüchse bei Massenabmahnungen gewisser Anwaltsfirmen reagieren (siehe z. Bsp. BMJ vom 03.11.2011 „Besserer Schutz gegen überzogene Abmahnungen“ oder IUWIS-Meldung vom 05.04.2012 „Verbraucherzentrale warnt vor Abmahn-Abzocke“).
Die auf Seite 1301 aufgezählten rechtsmissbräuchlichen Geschäftsmodelle runden eine auch insoweit rechts- und berufsethisch heikle Diskussion gelungen ab, denn: Die Wahrnehmung gesetzlich vorgesehener Ansprüche und Rechte ist an sich nicht verwerflich und massenhafte Rechtsverletzungen im Internet können, so auch die beiden Bearbeiter, ein massenhaftes Vorgehen dagegen erforderlich werden lassen. Ebenso beizupflichten ist Möllmann und Bießmann im Resümee auf Seite 1306, das zugleich auch den Schlusspunkt des thematisch überaus aufgefächerten Praxishandbuchs setzt:
„Die rege Abmahntätigkeit insbesondere der Musikindustrie hat in jedem Fall Wirkung gezeigt, wie sich den gesunkenen Zahlen illegaler Downloads entnehmen lässt. Nicht zuletzt jedoch aufgrund der zumindest bemerkenswerten Konstellation, dass ein Industriezweig hier in großem Umfang sein eigenes Zielpublikum zivil- und strafrechtlich verfolgt, wird der gesellschaftliche und rechtspolitische Diskurs gewiss fortgesetzt werden.“
In diesem Sinne darf man schon gespannt darauf sein, welche Rechtsaspekte es neu in die kommende Auflage des Praxishandbuchs schaffen werden.
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