Terminkalender
Mo | Di | Mi | Do | Fr | Sa | So |
---|---|---|---|---|---|---|
1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 |
8 | 9 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 |
15 | 16 | 17 | 18 | 19 | 20 | 21 |
22 | 23 | 24 | 25 | 26 | 27 | 28 |
29 | 30 | 31 |
Aus der Literatur: Dirk von Gehlen (2011): Mashup. Lob der Kopie.
Rezension zu
Dirk von Gehlen: Mashup. Lob der Kopie. Berlin: Suhrkamp Verlag, 2011. ISBN 978-3-518-12621-9
(Seite zum Titel bei suhrkamp.de)
von Ben Kaden
Manchmal hat man den Eindruck, es kommt vor allem darauf an, in welchem subkulturellen Rahmen man sozialisiert wurde. Zum Beispiel wundert sich, wer in den 1990ern irgendwo zwischen Hip Hop und elektronischer Avantgarde den Soundtrack seines Coming of Age vorfand, nicht nur bei den immer wieder mal auftretenden Feuilleton-Stürmen zur Remix-Kultur, sondern staunt auch in Dirk von Gehlens „Mashup. Lob der Kopie“ bei vielen Aussagen zum Thema: Muss man das im Jahr 2011 noch betonen?
Vermutlich aber muss man tatsächlich, denn unsere plurale Gesellschaft besteht nicht nur aus der Gruppe auf- und abgeklärter Subkulturkosmopoliten. Wer Meinungsvielfalt anerkennt, muss auch verstehen, dass es andere Sichten auf die Sache gibt. Daher ist es sehr dienlich, dass von Gehlens sympathische Streitschrift für die Anerkennung der kreativen Kopie teilweise recht elementare Schleifen zieht. Will man über Digitalkultur reden, gehört die Lektion „Digital für Dummies“ vermutlich nach wie vor dazu.
Man merkt dem Text durchaus an, dass hier der engagierte Chefredakteur von jetzt.de – dem Jugendmagazin der Süddeutschen Zeitung – Stellung bezieht. Denn das Buch liest sich eben klar, gefällig und zielgerichtet wie ein Artikel im SZ-Magazin. Allerdings fehlt dem Buch deshalb auch der einschneidende Schritt weiter. „Mashup. Lob der Kopie“ ist ein Einführungswerk in die Debatte, ihre Ursprünge und vor allem auch, dank eines soliden Glossars von 50 Seiten, in die Terminologie der entsprechenden Diskussionen. Von BitTorrent bis Unikat, von Sensei bis Kryptmnesie findet man zahllose Begriffe, die, richtig angewandt, argumentationsverschärfend wirken können. So sich denn alle auf die jeweilige Definition zu verständigen bereit sind. Ob aber jeder bereit ist, hinter dem Retweet die durchaus gewichtige Konnotation der „digitale[n] Art der freien Meinungsäußerung“ (S.219) zu sehen, darf bezweifelt werden. An solchen Stellen, von denen es im Buch einige gibt, scheinen Werkzeug, Funktion und Intention doch eher etwas sehr vermischt.
Das Buch selbst ist eigentlich das beste Beispiel dafür, was eine Remix-Kultur im Sinne des Rekontextualisierens kultureller Äußerungen – manche sprechen hier auch von Content – kennzeichnet. Von Gehlen bietet eine weit aufgespannte wertende Synopse der öffentlichen Debatte um das Urheberrecht im Digitalen. Eingestreut sind Interviews mit Experten, deren Aussagen die Aussagen Dirk von Gehlens jedoch oft etwas sehr glatt zu stützen scheinen. Dennoch sind sie sehr lesenswert und eine kompaktere Einführung in das Lizenzkonzept der Creative Commons als das Gespräch mit Markus Beckedahl ist schwer zu finden.
Der inhaltliche Fokus des Buches liegt insgesamt auf einem Umdenken hinsichtlich des Verhältnisses von Original und Kopie, was auf Begriffe wie Referenz, Variation und Version als Ersatz- und terminologische Vermittlungshilfen hinausläuft. Ein Werk, so von Gehlen, sollte mehr prozessual gedacht werden, wobei der Anteil der Originalität Resultat der deutenden Rezeption (Zuschreibung) ist. Originalität ist nur noch als temporäres Mischungsverhältnis postulierbar. Absolut ist hier gar nichts mehr.
Der Gedanke ist alles andere als neu, aber eben auch alles andere als irrelevant. Der Schritt weiter wäre an dieser Stelle die Frage, inwiefern die Metadaten dieser Deutung, die als Kommentare, Abruf- und Downloadzahlen sowie andere Bewertungen in dieser deklarierten „ultimativen Demokratie“ (S.174) eindeutig erfasst werden, dem Einzelinhalt Werk zuzurechnen sind. Oder ob so etwas wie YouTube nicht selbst ein Rahmenwerk für die diversen Inhaltsschnipsel und ihre Relationen darstellt.
Was völlig unreflektiert bleibt, ist die weitgehende Bindung jeder Aktivität dieser „medialen Bürgerschaft“ (Brett Gaylor, vgl. S. 175) an derzeit vier bis fünf global operierende, nicht-öffentliche Türwächter nahezu aller Webkommunikationen mit massenmedialer Reichweite: Google, Apple, Amazon und Facebook (und Twitter). Meines Erachtens liegt hier der wunde Punkt des Buches sowie weiter Teile der Debatte und nicht in der Vermittlung des Allgemeinplatzes, dass niemand eine Insel sei (John Donne) und man nicht nicht kopieren kann. Jedes Kommunikationsmittel wirkt über die Rekombination von allgemein Bekanntem und bezieht seine Spannung aus dem Verhältnis von Ereignis (=Information) und Redundanz sowie der Fähigkeit der Rezipienten, die Referenzen entsprechend zu erkennen. Die natürliche Sprache, die voraussetzt, dass die Bedeutung der Einzelwörter innerhalb der Sprachgemeinschaft halbwegs stabil und übergreifend bekannt ist, ist dafür vermutlich das anschaulichste Prinzip: Jedes Wort dieses Textes ist eine Kopie und frei kopierbar.
Hier also den Mythos „Original“ noch einmal zum Gegner aufzuplustern, der Kopie einen verbreiteten negativen Leumund zu unterstellen und den Kulturkampf dagegen zum Leitmotiv zu wählen, scheint nicht mehr übermäßig notwendig. Spätestens im Digitalen ist das Thema Original/Kopie erledigt. Wer das in den entsprechenden Industriezweigen bis heute nicht verstanden haben sollte, der lernt es auch durch Nachaufklärung kaum.
Andererseits ist entlarvende Kritik an der interessenbestimmten Rhetorik immer dann notwendig, wenn sie zu sehr zu verfangen droht bzw. ihre Empfängergruppe diese zu durchschauen nicht in der Lage zu sein scheint. Bisweilen – wie z.B. bei dem Hinweis, dass eine Urheberrechtsverletzung höchstens als Leistungserschleichung aber nicht als Diebstahl bewertet werden kann (vgl. S.119) – gelingt dies im Text, der erklärtermaßen „kein Abgesang auf das Urheberrecht“ (S.123) sein möchte, sondern die Referenz an die Quelle ausführlich als Norm herausstellt. Am Ende bleibt er aber doch etwas sehr optimistisch im Hohelied auf die kreative Referenzkultur stecken und lässt die sich dabei gleichfalls entwickelnden Probleme unterreflektiert.
Trotz dieser Abstriche ist es ein überzeugendes Buch, wenn man sich mit einer flüssig geschriebenen und dezidiert parteiischen Einführung in die Problematik anfreunden kann. Die Darstellung der Geschichte des Urheberrechts (Kapitel IV Das Gesetz der vagabundierenden Kopie) ist ein wunderbarer Einstieg nicht nur für Frühsemester, das bereits erwähnte Glossar hilft allen, die sich nicht täglich in der digitalen Referenzkultur bewegen und wer an der Debatte bis hin zum Dritten Korb interessiert ist, erhält eine hochaktuelle Zusammenstellung der Diskursstränge der letzten Jahre. Dass die daraus folgenden eigenen Schlussfolgerungen keine gänzlich neuen Ufer in den Blick bringen, sollte man vielleicht auch nicht überkritisch einfordern. Denn – auch das passt zum Lob der Kopie – gelegentlich sieht man gerade in der Wiederholung, im Rezitat auf einmal etwas im längst Bekannten, was einem zuvor entging. Man sieht so von den auch im Buch vielzitierten Schultern der Giganten vielleicht nicht weiter. Aber genauer.
- Weblog von iuwis-Redaktion
- Anmelden oder Registrieren um Kommentare zu schreiben
Kommentare
Dirk van Gehlen, "Lob der
Dirk van Gehlen, "Lob der Kopie", hm. Habe mich sehr bemueht, dieses Buch zu lesen und zu verstehen. Muss allerdings zugeben, dass ich trotz abgeschlossener Ausbildung zur Rechtsanwaltsehilfin, Probleme hatte, zu verstehen, was die Quint Essenz sein sollte. Kann mich jemand aufklaeren?
In diesem Online-Casino gibt es viele Poker-Spiele. Je mehr man über die Taktiken der einzelnen Poker-Spiele lernt, desto besser werden die Gewinnchancen.
Quintessenz
Die Quintessenz des Buches liegt meines Erachtens in der Passage, die Dirk von Gehlen aus meinem Text als Stimme zum Titel identifizierte:
"… ein überzeugendes Buch, wenn man sich mit einer flüssig geschriebenen und dezidiert parteiischen Einführung in die Problematik anfreunden kann. Die Darstellung der Geschichte des Urheberrechts (Kapitel IV Das Gesetz der vagabundierenden Kopie) ist ein wunderbarer Einstieg nicht nur für Frühsemester, das bereits erwähnte Glossar hilft allen, die sich nicht täglich in der digitalen Referenzkultur bewegen und wer an der Debatte bis hin zum Dritten Korb interessiert ist, erhält eine hochaktuelle Zusammenstellung der Diskursstränge der letzten Jahre."
Für die fachjuristische Praxis enthält das Buch in der Tat wenig Anknüpfungspunkte. Ich verstehe es als engagierten Beitrag zu der intensiv geführten öffentlichen Debatte um die Zukunft des Urheberrechts. Im Mittelpunkt steht dabei das Kriterium der "persönlichen geistigen Schöpfung" (vgl. § 2 UrhG) Die Frage ist dabei unter anderem, wie dieser eigene Anteil anzugrenzen ist und was eine Schöpfung kennzeichnet. Wir bedienen uns bei jedem Text, den wir schreiben, bei jeder Musik, die wir komponieren und bei jedem Bild, was wir malen immer an Bezügen. Die Sprache ist solch ein Bezug: Würde ich mir alle Wörter neu ausdenken, wäre es vielleicht eine eigene Schöpfung. Ihr Inhalt könnte jedoch nicht kommuniziert werden, weil nur ich den Sinn kenne. Die Schöpfung kann sich, so meint man, folglich nur auf der Sinnebene entfalten. Aber hier gilt ähnliches: Die Themen müssen bekannt sein, damit sie auch verstanden werden können. Die persönliche geistige Schöpfung kann also immer nur als Mischverhältnis gedacht werden. Wir nehmen das, was da ist (Sprache, Themen) und setzen sie in ein bestimmtes Verhältnis. Idealerweise ist dieses Verhältnis so beschaffen, dass noch niemand es exakt in dieser Form zuvor schöpferisch fixiert hat.
Die Zeile "Vom Eise befreit sind Strom und Bäche" ist z.B. in Sprachwerken nur noch als Zitat verwendbar. Auch wenn wir selber ohne Kenntnis Goethe darauf stoßen, werden wir nicht als geistiger Schöpfer akzeptiert werden. Beharren wir darauf, wird man uns möglicherweise den Willen zum Plagiat unterstellen. Schreiben wir aber in einem Text "An diesem Märztag zeigte sich das Tal mit dem Strom und den Bächen vom Eise befreit", ist dies nicht gegeben. Die Variation (und hier die Verknüpfung mit anderen Worten) macht den Unterschied. Auf einmal ist ein Satz eine persönliche geistige Schöpfung.
Wenn also die deutsche Nationalbibliothek 300 deutschsprachige Bücher zur Stadtgeschichte Berlins besitzt, beschäftigen sich alle mehr oder weniger mit dem gleichen Thema, benutzen diesselbe Sprache und nehmen teilweise direkt aufeinander bezug. Dennoch sind sie z.T. sehr unterschiedlich.
Die Bezeichnungen "Remix" und "Mashup", die für Dirk von Gehlen zentral sind, stehen für dieses Mischungsverhältnis. Er betont, dass nichts aus dem Nichts geschaffen wird, sondern alles etwas Vorhandenes neu mischt und/oder variiert. Das ist insofern bemerkenswert, weil es im Kontrast zu mitunter im Zusammenhang mit der persönlichen geistigen Schöpfung anzutreffenden Positionen und Vorstellungen steht. Diese werden oft dann ins Feld geführt, wenn man gegen das Phänomen der "Kopie" argumentiert. Die Kopie stellt allerdings keine Variation sondern eine Reproduktion dar. Sie entspricht im Idealfall identisch der Vorlage. Ihre Bedeutung liegt in diesem Zusammenhang in der Verbreitung einer Schöpfung: Die meisten Werke sind nur über Kopien zugänglich. Diese Zugänglichkeit bildet jedoch die Vorraussetzung für die Variation, also neue Schöpfungen. (Die Kopie als Kunstform, wie sie das Fußballbeispiel zu Beginn des Buches nahelegt, ist eine besondere Spielart, jedoch nicht der Regelfall.)
Die Diskussion zur Urheberrechtsreform dreht sich vor allem darum, wer in welchen Zusammenhängen kopieren anfertigen und vertreiben kann. Sprechen wir von kommerziellen Vervielfältigung, sind dies die sogenannten Verwerter. Ihnen gegenüber stehen die Werknutzer, die mit der Digitaltechnologie erstmals in der Mediengeschichte die Möglichkeit erhalten haben, eigenständig identische Kopien von bestimmten Werkformen vorzunehmen. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass sie zwar einen Schöpfungsprozess durchlaufen haben, es aber im Prinzip kein Original mehr gibt. Digital reproduzierbar sind nur Werke, die auch auf diese Reproduzierbarkeit hin erstellt wurden. Ein gedrucktes Buch ist beispielsweise nur mit einem Aufwand identisch zu kopieren, der die Möglichkeiten der Nutzer normalerweise übersteigt. (Es sei denn, sie sind Drucker und Buchbinder.) Ein elektronisches Buch kann jeder mit der Standardausstattung seines PCs, Macs oder auch Smartphones sekundenschnell vervielfältigen und verteilen. Die Kopien sind nicht mehr durch die Erstersteller (die Verwerter) kontrollierbar. Dirk von Gehlen spricht daher von "vagabundierenden Kopien".
Das Ziel der Verwerter ist zumeist, diese Kontrolle über das Urheberrechtsgesetz abzusichern. Da die technische Ebene der Kopie nicht kontrollierbar ist, soll das Nutzungsverhalten der Technologie kontrolliert werden. Das Kopieren ist bis auf wenige Ausnahmen nicht rechtmäßig. Die Debatte der Urheberrechtsreform dreht sich nun genau um diese Ausnahmen, beispielsweise den Privatgebrauch, den wissenschaftlichen Gebrauch oder den Gebrauch zu Bildungszwecken. Hier stehen sich die Interessen der Verwerter und die Interessen der Nutzer gegenüber. Die Aufgabe der Rechtsgebung ist es nun, zwischen beiden zu vermitteln und einen Kompromiss zu finden, der den realen Gegebenheiten genauso gerecht wird, wie den Ansprüchen beider Positionen.
Das Buch Dirk von Gehlens schlägt sich dabei eindeutig auf die Seiten der Nutzer. Abgesehen davon ist es eine der lesbarsten Einführungen in das Problemfeld, die momentan auf dem deutschen Buchmarkt zu finden sind. Es hilft allerdings, wenn man dennoch mit einer gewissen Kenntnis der Problemlage an die Lektüre geht. Ich hoffe, die obenstehenden Ausführungen sind diesbezüglich hilfreich.