Urteilsbegründung zweifelhaft: LG Stuttgart über den erlaubten Umfang der Lernplattform der Fernuni Hagen.
Ein Gastbeitrag von Armin Talke
Das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 27.9.2011 (Az. 17 O 671/10) schafft Orientierungsmarken, aber keine Klarheit.
Die Entscheidung lautet sinngemäß so:
Die Universität darf den für ein Studienmodul angemeldeten Studierendenbis zu 48 Seiten (ca. 10 %) des Werkes „Meilensteine der Psychologie“ ohne Zustimmung des Verlags über die Lernplattform zugänglich machen. Bis zu diesem Umfang darf die Universität den Studierenden auch die Möglichkeit des Ausdruckes gewähren.
Die Universität hat aber zu gewährleisten, dass die Studierendennur max. 3 Seiten des Werkes downloaden und abspeichern.
Das Urteil darf nicht als Rückschlag für die Universitäten gesehen zu werden, denn es setzt immerhin ein paar sinnvolle Akzente. Die die Hochschulen eher belastenden Entscheidungssätze des Urteils sind dagegen schlecht begründet. Es ist nicht zu erwarten, dass sie von anderen Gerichten übernommen werden. Immerhin gibt es auch einige Klarstellungen, die ihren Beitrag zur Rechtssicherheit von Universitäten leisten:
- der Kreis von 4000 Studierenden des Studienmoduls 1 des Bachelor-Studienganges Psychologie der Fernuni Hagen ist ein „bestimmt abgegrenzter Kreis von Unterrichtsteilnehmern“ i.S.d. § 52a Abs.1 Nr.1 UrhG. Hintergrund: Die Studierenden können nach Eingabe ihres Benutzernamens und Passwortes, das ihnen jeweils individuell von der Universität mitgeteilt wurde, über die Lernplattform „Moodle“ auf die Werkteile zugreifen. Auf die reine Zahl der Unterrichtsteilnehmer kommt es nicht an. Der Kreis kann also auch größer sein als in einer üblichen Uni-Präsenzveranstaltung.
- Das Gericht stellt klar, dass die Verfügbarmachung auf der Lernplattform auch dann erlaubt ist, wenn der konkrete Inhalt nicht umfassend im Unterricht besprochen wurde. Der in der Norm vorgegebene Zweck, die Werkteile „zur Veranschaulichung des Unterrichts“ zugänglich zu machen, sei hier gegeben, weil die Nutzung zumindest hilfreich für die Darstellung des Stoffes sei, weil sie dazu beitrage, den Stoff besser und verständlicher zu vermitteln.
- Die Online-Verfügbarmachung ist nicht nurwährend des Unterrichts, sondern auch außerhalb von Präsenzveranstaltungen erlaubt. Eine andere Beurteilung des Gerichts wäre allerdings auch absurd gewesen, denn Sinn und Zweck des § 52a Abs.1 Nr.1 kann wohl kaum sein, den Studierenden nur die Möglichkeit zu geben, sich währenddes Seminars in die Lektüre auf ihrem Notebook zu vertiefen. Das Gericht weist hier zurecht darauf hin, dass es hierfür des § 52a als Ausnahmeregelung zur öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19a) nämlich gar nicht bedurft hätte.
- Die Beschränkung auf die 10 % eines Werkes kann nicht überzeugen, zumal sich die VG Wort mit den Trägern der Bibliotheken im Gesamtvertrag zur Vergütung von Ansprüchen nach § 52a (2007) schon auf plausible 15 % geeinigt hatten. Das Gericht geht darauf allerdings nicht ein und hält den bloßen Abruf von 10 % eines Werkes (als Bilddatei !) unter Bezugnahme auf die damalige Gesetzesbegründung , (Bundestags-Drucksache 15/38) offenbar für ausreichend, um die Nutzung moderner Kommunikationsformen in der Wissenschaft zu ermöglichen. Ob die Bundesregierung hier einen solch kleinen Teil meint, ist allerdings zweifelhaft. Konkrete Zahlen sind in der Gesetzesbegründung natürlich nicht genannt.
Falsch liegt das Gericht m.E. in seiner Auffassung, dass die § 52a Abs.1 Nr.1 die Ermöglichung des Downloads und Abspeicherung nicht erlaubt. Die Urteilsbegründung kann an dieser Stelle nicht überzeugen: Das Gericht führt aus, dass § 52 a Abs.3 eben nur die für öffentliche Zugänglichkeiterforderlichen Vervielfältigungen zulasse. Das Gericht interpretiert die Erforderlichkeit im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes so, dass die Norm nur Vervielfältigungen solcher Art erlaubt, die möglichst wenig in das ausschließliche Vervielfältigungsrecht des Rechteinhabers eingreifen. Daher sei es der Universität nicht erlaubt, ganz normale Dateien zur Verfügung zu stellen, die die Studenten wie üblich herunterladen und abspeichern können.'
Der Rückgriff des Gerichts auf den 3-Stufen-Test, nach dem die normale Verwertung des Werkes durch den Rechteinhaber nicht beeinträchtigt- und dessen berechtigten Interessen nicht verletzt werden dürfen, mag zwar noch angehen, überzeugend ist das jedoch nicht, denn der Eingriff wird durch die angemessene Vergütung nach § 52 Abs.4 ausgeglichen. Vor allem aber verkennt das Gericht, dass Systematik sowie Sinn und Zweck der Annex-Vervielfältigungskompetenz nach § 52a Abs.3 dafür sprechen, dass damit klargestellt werden sollte, dass zusätzlich zu der „öffentlichen Zugänglichmachung“ eben die notwendige Anzahl von Kopien auf dem Server, mit der der Privilegierte in das ausschließliche Vervielfältigungsrecht eingreift, erlaubt sein soll. Dafür, dass der Gesetzgeber die Nutzungs- und Kopiermöglichkeiten wie etwa die nach § 53 erlaubten Vervielfältigungshandlungen unterbunden sehen möchte, gibt es keine Hinweise. Wenn die betroffenen Universitäten zur Sicherung der Dateien mit DRM-Systemen verpflichtet sein sollen, muss der Gesetzgeber das ausdrücklich regeln. Der Begriff der „Erforderlichkeit“ in § 52 Abs.3 lässt jedenfalls keinen Spielraum für die Auslegung im Sinne des 3-Stufen-Tests. Der Hinweis auf die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages (BT-Dr. 15/837, S.34) ist zwar richtig, muss aber zu einer genau umgekehrten Schlussfolgerung führen. Die Passage dort lautet:
„Mit § 52a wird die erlaubnisfreie Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke und verwandter Schutzgüter im Online-Bereich geregelt. Zu diesem Zweck ist es notwendig, diejenigen Vervielfältigungen zuzulassen, die zur Zugänglichmachung erforderlich sind. Der Rahmen für die Zugänglichmachung nicht erforderlicher, aber nach anderen Vorschriften zulässiger Vervielfältigungshandlungen wird für den hier angesprochenen Bereich des Unterrichts und der Wissenschaft insbesondere von § 53 Abs. 2 und 3 bestimmt.“
Damit weist der Rechtsausschuss darauf hin, dass die Vervielfältigungshandlungen nach § 53 hier eben „zulässig“ sind und es gar keinen Bedarf gibt, etwa für Vervielfältigungen für wissenschaftliche Zwecke neben § 53 Abs.2 S.2 Nr.1 noch eine Extra-Regelung zu schaffen. Es spricht also nichts dafür, dass die Uni die nach § 53 erlaubten Kopien (i.S.d. Downloads) verhindern muss. Ganz im Gegenteil.
Nach der zweifelhaften Argumentation des Gerichts hätte die Anzahl der Seiten, die heruntergeladen werden dürfen, übrigens bei Null gelegen, wenn nicht vom klagenden Verlag nur die Begrenzung auf 3 beantragt worden wäre.
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