Wie sich der Bundesrat aus der Schlinge einer Ablehnung des Zweitverwertungsrechts zieht

Der folgende Text ist (leicht redaktionell überarbeitet) unter der Überschrift "Manifestierung der Dreiklassengesellschaft" in Spektrum der Wissenschaft vom 19.9.2013 erschienen:

Wie sich der Bundesrat aus der Schlinge einer Ablehnung des Zweitverwertungsrechts zieht

Rainer Kuhlen 19.9.2013

Am 20. 9. 2013 wird der Bundestag den Empfehlungen seiner beiden Ausschüsse für Kultur und Recht folgen, und sich dafür entscheiden, gegen das vom Bundestag verabschiedete Gesetz für ein Zweitverwertungsrecht wissenschaftlicher AutorInnen keinen „Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes ..,  zu stellen“; zu deutsch: er wird nicht den Vermittlungsausschuss anrufen (zustimmungspflichtig ist dieses Bundesgesetz ohnehin nicht).

Das ist eine für viele Beteiligte äußerst schwierige Situation. Dass ein Zweitverwertungsrecht überfällig ist, wird von den meisten davon Betroffenen so gesehen. Insofern scheint das voraussichtlich vom Bundesrat gebilligte Gesetz im Interesse von Bildung und Wissenschaft zu liegen. Doch, so einfach ist es nicht.

Natürlich sind nicht alle dafür. Gewiss, die Verlage, vor allem die deutschen Verlage und insbesondere deren Interessenvertretung, der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, sind weiterhin strikt dagegen, weil, wie sie meinen, ein solches Recht ihre bisherigen Geschäftsmodelle existenzgefährdend vernichten würde.  

Auch der gewichtige Deutsche Hochschulverband ist erstaunlicherweise gegen das Zweitveröffentlichungsrecht, mit dem Argument, dass es den Autoren ihre Vertragsautonomie untergrabe, nämlich das Recht, Verträge abzuschließen, durch die sie alle ihre Verwertungsrechte als Nutzungsrechte an die Verlage abgeben. Auch das sei Teil von Wissenschaftsfreiheit!

Fast alle Organisationen der Wissenschaft, auch das Aktionsbündnis Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft, und der Bundesrat haben sich klar im Prinzip zugunsten des Zweitverwertungsrechts erklärt (sie wollen es lieber Zweitveröffentlichungsrecht genannt wissen). Sie haben aber nicht erst, aber besonders im letzten halben Jahr starke Kritik an den Details dieses Gesetzes geübt, insbesondere daran, dass:

  1. das Zweitverwertungsrecht nur für Zeitschriftenbeiträge gelten soll, nicht aber für Beiträge in Sammelbänden jeder Art;
  2. das Recht erst 12 Monate nach der (kommerziellen) Erstveröffentlichung zur Anwendung kommen soll;
  3. die Zweitverwertung nur in der Manuskriptversion der AutorInnen, nicht in der Verlagsversion erlaubt sein soll.
  4. Am gravierendsten ist aber, dass dieses neue Recht ─  jedenfalls nach der das Gesetz begleitenden und i.d.R. auch als verbindlich angesehenen Begründung (s. unten)  ─ nicht für mit Grundmitteln betriebene Forschung an den Hochschulen gelten solle, sondern nur für Arbeiten, die aus zu mehr als 50 % mit öffentlichen Drittmitteln geförderter Forschung oder aus der außeruniversitären institutionellen Forschung hervorgegangen sind.

Der Bundesrat  sprach bei seiner ersten Beratung des Gesetzentwurfs im Mai 2013 nicht nur von einer Zweiklassengesellschaft, sondern sogar von einer „Dreiklassengesellschaft“, nämlich zwischen „außeruniversitärer Forschungseinrichtungen, Hochschulen insgesamt und Geistes- und Sozialwissenschaften an Hochschulen“, da letztere traditionell niedrige Drittmittelquoten hätten.

Wie verhalten sich in einer solchen Situation die Organisationen der Wissenschaft, die Zivilgesellschaft und wie der Bundesrat, wenn entschieden werden muss: Lieber ein Gesetz akzeptieren, das trotz gravierender Mängel dennoch als ein Schritt in die richtige Richtung angesehen werden kann? Oder doch versuchen, das Gesetz zu verhindern, da ein einmal beschlossenes Gesetz i.d.R. lange Zeit bestehen bleibt und damit Wissenschaft eher behindernd als befördernd sein wird?

Das Aktionsbündnis für Bildung und Wissenschaft, das sich für Interessen von WissenschaftlerInnen innerhalb und außerhalb der Hochschulen einsetzt,  hat sich, soweit bekannt, als einzige (zivilgesellschaftliche) Organisation an die Ausschussmitglieder des Bundesrats und dann an die Mitglieder des Bundesrats gewandt, um diese zu bewegen, das Gesetz nicht passieren zu lassen. Die Gründe, warum die vielen anderen Organisationen der Wissenschaft den letzten Schritt dann nicht gegangen sind, sind nicht öffentlich bekannt gemacht worden.

Man darf unterstellen, dass alle beteiligten Organisationen nach bestem Wissen sich für die Interessen von Bildung und Wissenschaft eingesetzt haben und sich die Gründe für Ablehnung oder Anerkennung dieses Gesetzes gut überlegt haben. Wechselseitiger Respekt für die jeweilige Entscheidung ist bei den im weiteren Horizont gleichen Zielen angebracht.

Am besten scheint sich am Ende der Bundesrat aus der Affäre gezogen zu haben. Er bekräftigt, entsprechend der Empfehlung seines Ausschusses für Kulturfragen, noch einmal seine Kritik, speziell auch bezüglich der oben angeführten Punkte (1) und (2), die keinesfalls dem Stand der Forschung und der europäischen Entwicklung entsprächen. Die Zwei- oder Dreiklassengesellschaft hält er sogar für nicht „verfassungskonform“.

Allerdings hat er quasi einen Verfahrenstrick benutzt, um sich aus dieser Schlinge ziehen zu können. Er interpretiert den neuen Absatz 4 von § 38 so, dass „dessen  Anwendungsbereich sich zumindest im Wege einer verfassungskonformen Auslegung [fett – RK] auch auf das gesamte, an den Hochschulen beschäftigte wissenschaftliche Personal erstrecken muss“, so dass „dem begünstigten Personenkreis ein vertraglich nicht abdingbares Recht auf Zweitveröffentlichung eröffnet“ wird.

Der Bundesrat nimmt also die Formulierung im Gesetz „im Rahmen einer mindestens zur Hälfte mit öffentlichen Mitteln geförderten Lehr- und Forschungstätigkeit“ wörtlich und setzt offenbar darauf, dass die Gerichte bei späteren möglichen Klagen die offizielle Begründung des Gesetzes für diese Einschränkung der Begünstigten zurückweisen werden. Die Begründung lautet: „Dies [das neue Zweitverwertungsrecht – RK] umfasst Forschungstätigkeiten, die im Rahmen der öffentlichen Projektförderung oder an einer institutionell geförderten außeruniversitären Forschungseinrichtung durchgeführt werden. Der Anwendungsbereich des Zweitveröffentlichungsrechts ist auf diese Bereiche beschränk t, da hier das staatliche Interesse an einer Verbreitung der Forschungsergebnisse besonders hoch ist.“

Man mag dieses Setzen des Bundesrats auf eine „verfassungskonforme Auslegung“ blauäugig nennen oder aber doch weise auf die höhere Rationalität der Gerichte setzend.

Die Auseinandersetzung um ein wissenschaftsfreundliches Urheberrecht wird auch in der neuen Legislaturperiode weitergehen. Der Bundesrat verbindet seine Ausführungen zum Zweitverwertungsrecht  mit der Erwartung, „ dass die neue Bundesregierung umgehend nachhaltige Regelungen für die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke im Intranet von Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen erarbeitet.“. Dazu gehört vor allem die von vielen Seiten geforderte Einführung einer allgemeinen umfassenden Wissenschaftsklausel, durch die die meisten bisherigen, wenig nützlichen Schrankenregelungen überflüssig würden.