Von den kontroversen Plädoyers der Urheberrechtsexperten um die Zukunft des Geistigen Eigentums auf der GRUR-Jahrestagung 2010

Rund 750 Anwälte, Richter, Firmenjuristen und Rechtswissenschaftler, die sich auf das Rechtsgebiet des Geistigen Eigentums spezialisiert haben, trafen sich vom 15. bis 17.09.2010 auf der Jahrestagung der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR) in Hamburg. Im übergreifenden Schlussteil mahnte Professor Thomas Dreier dazu, „die Kritik, die dem Geistigen Eigentum entgegengebracht wird, sich vor Augen zu führen und ernst zu nehmen“, andernfalls letztlich das Gesamtsystem in Gefahr gerate.

Urheberrecht nur als Behinderung

„Ansätze der Wissenschaft zu diskutieren, um diese Kritik einzufangen“ forderte Professor Dreier, seit 1999 Leiter des Instituts für Informationsrecht der Universität Karlsruhe. Er sehe „eine Generation heranwachsen, die das Urheberrecht nur als Behinderung wahrnimmt.“ Dreiers Beobachtungen entsprachen damit weithin denen des Hamburger Justizsenators Dr. Till Steffen. Dieser hatte sich am Tag zuvor für eine Novellierung des Urheberrechtsgesetzes ausgesprochen (Bericht davon bei iuwis hier).

Kreativität und Innovation nach der Digitalen Revolution

Stellung für die Bundesregierung bezog Dr. Birgit Grundmann, Staatssekretärin im Bundesjustizministerium. Dabei ging sie von der Frage aus, ob die digitale Revolution Anlass sei, die Grundentscheidungen hinsichtlich der Geistigen Schutzrechte zu revidieren. Eindringlich betonte die Staatssekretärin „die herausragende Bedeutung der Schutzrechte in unserem Gemeinwesen.“ Nur so könnten Kreativität und Innovation gefördert werden.

Open Access liegt in Hoheit des Urhebers

Dr. Grundmann kann „keinen Gegensatz erkennen zwischen Urheberrecht und Open Access, denn die Urheber entscheiden.“ Creative Commons oder GNU Lizenzen lägen in der Hoheit des Urhebers und „funktionieren nur auf Basis des Bestimmungsrechts des Urhebers.“ Genau dieses würde aber beim Modell Kulturflatrate pauschaliert und kollektiviert. Letztlich würde so der Urheber vom Werk getrennt. Die Kulturflatrate stelle daher nach Meinung Grundmanns „keine Lösung für ein faires Urheberrecht“ dar.

Urheberrecht schützt nicht überholte Geschäftsmodelle

Der Bundesregierung sei es im Urheberrecht wichtig, dass „ein hoher Standard beibehalten wird und starke Durchsetzungsmechanismen“ bestünden. Im Hinblick auf das breit diskutierte Schutzrecht für Presseverlage wies Dr. Grundmann aber auch daraufhin, dass „nicht das Urheberrecht die Verleger vor Veränderungen des Wettbewerbs schützen“ könne. Im Sinne eines wettbewerbsneutralen Urheberrechts werde vielmehr „der Markt entscheiden über den Wettbewerb, über Geschäftsmodelle und Angebote.“ Die Unternehmen ermahnte die Staatssekretärin insoweit dazu, „ihre Geschäftsmodelle rechtzeitig auf die Nutzung von Online-Angeboten anzupassen.“

Grenzüberschreitende Wissenschaft begrenzt deutsches Urheberrecht?

„Neben der von Dr. Grundmann angesprochenen Anhörung vom 28.06.2010 zum Leistungsschutzrecht für Presseverlage interessierte manchen Teilnehmer eine weitere Anhörung im Zusammenhang mit dem so genannten Dritten Korb: Am 13.07.2010 hatten Vertreter des Justizministeriums Bedenken dagegen geäußert, dass öffentlich finanzierte Wissenschaft von einem unabdingbaren Zweitveröffentlichungsrecht tatsächlich profitieren könne (iuwis mit Materialien zum Dritten Korb und Bericht von Anhörung am 13.07.2010). Haupteinwand der zuständigen Ministeriumsbeamten war, dass bei grenzübergreifenden Publikationen in manchen Wissenschaftsbereichen bis zu 90 % der Fälle nicht mehr vom deutschen Gesetzgeber beeinflussbar seien. Eine Nachfrage dahingehend zu den urheberrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten der Bundesregierung konnte auf der GRUR-Jahrestagung nicht mehr gestellt werden, da Dr. Grundmann bei der anschließenden Diskussion nicht mehr anwesend war. 

Fehlfunktionen des Urheberrechts

„Absolute Rechte neigen dazu, übers Ziel hinauszuschießen“, stellte Professor Reto Hilty, Direktor am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht in München, fest. „Hinter dem Urheberrecht stehen vielfältige Industrien, an die Rechte abgetreten werden.“ Überdies widersprach Hilty seinem Professorenkollegen Karl-Heinz Fezer (Universität Konstanz), der in seinem Vortrag generell von einer „Vermutung zugunsten des Eigentümers“ ausgegangen war. Professor Hilty ging in seinen Erläuterungen verschiedentlich auf Fehlfunktionen geistiger Eigentumsschutzrechte ein. Tageszeitungen bräuchten zum Beispiel keine 70 Jahre Schutzdauer, denn es entscheide sich innerhalb weniger Tage, ob sich ihre Investition amortisiere.

Hilty: Der Begrenzung der Schutzrechte mehr Aufmerksamkeit schenken

Seine Forderungen fasste Professor Hilty folgendermaßen zusammen: „Begrenzungsinstrumente von Geistigem Eigentum sind im Ansatz vorhanden, aber noch unterentwickelt. Nach dem steten Ausbau der Schutzrechte verdient nun die Begrenzung der Schutzrechte mehr Aufmerksamkeit.“ Als ein Rechtsinstrument „mit Riesenpotential im Urheberrecht“ erkennt Professor Hilty die Rechtsfigur der Zwangslizenz, wie sie etwa im Patentrecht eingeführt ist. „Ohne Zwangslizenz kann ich mir ein Leistungsschutz für Zeitungsverlage nicht vorstellen“, so Prof. Hilty auch in Replik auf die Justizstaatssekretärin Dr. Grundmann.

Verengte Schranken wegen internationaler Rechtsvorgaben

Professor Thomas Dreier, der am 17.09.2010 nachmittags die Tagung leitete, hatte weitergehend aufgeworfen, ob und wie es „international möglich ist, die Spirale der sich immer weiter erhöhenden Schutzrechte aufzuhalten?“ Diese Vorlage nahm Professor Hilty in seiner Rede zum Anlass für Kritik: So werde etwa der völkerrechtlich verankerte Drei-Stufen-Test „von vielen Gerichten problematisch angewendet, um enge Schrankenregelungen weiter zu verengen.“ Auf europäischer Ebene sei ein Datenbankschutz eingeführt worden, der falsch wirke.

Offenere Gesetzesformulierungen als Umsetzungsvariante

Wie diese Ansätze konkret zur Geltung gelangen kommen könnten, wurde in der abschließenden Aussprache diskutiert. Neben einer Gesetzgebung mit genauen Vorgaben seien auch offenere Bestimmungen denkbar, die erst durch die Rechtsprechung konkretisiert würden. Dies führe jedoch zu einem hohen Maß an Unsicherheit, wenn Gerichte – ähnlich wie im Persönlichkeitsrecht – erst Schutzrechtsbegrenzungskriterien entwickeln müssten, so eine Kritik am Ansatz von Fair-Use-Regelungen. Auf der anderen Seite, so die Entgegnung von Professor Hilty, sei zu bezweifeln, ob recht detaillierte starre Gesetzesvorschriften ausreichend flexibel Anwendung finden könnten.