Aus der Literatur: Nikolaus Bosch, Jochen Bung und Diethelm Klippel (2011): Geistiges Eigentum und Strafrecht

Rezension zu: Nikolaus Bosch, Jochen Bung und Diethelm Klippel (Hrsg., 2011): Geistiges Eigentum und Strafrecht. Band 54 in der Schriftenreihe Geistiges Eigentum und Wettbewerbsrecht. Tübingen: Mohr Siebeck, ISBN: 978-3-16-150680-2. (Weitere Informationen zum Titel beim Verlag)

von Thomas Hartmann

Cover "Geistiges Eigentum und Strafrecht"

Innerhalb weniger Jahre sind in der von Mohr Siebeck verlegten Schriftenreihe „Geistiges Eigentum und Wettbewerbsrecht“ mehr als 50 Bände erschienen. Auffallend sind indes die zahlreichen Titel aus der Buchreihe, welche am normendogmatischen Fundament Geistigen Eigentums ansetzen oder aber gewöhnlich eher im Hintergrund verortete Spezialaspekte eingehend analysieren. Im Umfeld des DFG-Graduiertenkollegs „Geistiges Eigentum und Gemeinfreiheit“ setzen damit die Herausgeber Peter Heermann, Diethelm Klippel, Ansgar Ohly und Olaf Sosnitza einen Kontrapunkt zu der voluminösen Publikationswelle an Studienbehelfen sowie zur Anwenderliteratur für die juristische Berufspraxis. Es erscheint verwegen und ist im Kreise der RechtswissenschaftlerInnen nur sehr zurückhaltend zu hören, aber es geht genau um Grundlagenforschung, wenn Fachbeiträge langfristig einen „allgemeinen Teil des Geistigen Eigentums“ formen sollen.

In dieses rechtswissenschaftliche Publikationsforum fügt sich der kürzlich erschienene Tagungsband 54 „Geistiges Eigentum und Strafrecht“ (Herausgeber Nikolaus Bosch, Jochen Bung und Diethelm Klippel) prima ein. Denn jedenfalls für das Urheberrecht kann vorab kurz und knapp festgehalten werden: Das Strafrecht spielt im Urheberrecht derzeit noch so gut wie keine Rolle. Kriminalstatisch habe sich „das Urheberstrafrecht bisher nicht als Erfolgsmodell etabliert“, befindet Nikolaus Bosch nüchtern auf S. 6 der Einleitung. Wer nicht einen außergewöhnlichen Exzess provoziert, hat von der Staatsanwaltschaft in puncto Urheberrecht ausweislich einer „verschwindend geringe[n] Anzahl einschlägiger Verurteilungen“ (S. 7) nichts zu befürchten. Das Phänomen zum althergebrachten Sacheigentum zuspitzend resümiert auf S. 161 Clemens Kessler :

„Obwohl eine Verletzung von gewerblichen Schutzrechten zumeist einen nicht geringeren Unrechtsgehalt aufweist als Eigentumsdelikte, werden letztere gesehen und verfolg, erstere selten gesehen und noch seltener verfolgt.“

Neben der Kriminalstatistik konstatiert Hans Kudlich auch in der Strafrechtswissenschaft eine zurückhaltende Beschäftigung mit dem geistigen Eigentum und begibt sich ab S. 40 auf die Suche nach den Ursachen dafür. Und dennoch sind (Fehl-)Entwicklungen gerade auch im nationalen, europäischen und internationalen Strafrechtsbereich zu konstatieren, welche insgesamt die urheberrechtlichen Grundpfeiler langfristig verrücken können. Auch darum ging es am 5. und 6. November 2009 in Bayreuth auf der Tagung „Geistiges Eigentum und Strafrecht“, deren Beiträge vorwiegend den gleichnamigen Sammelband befüllen.

So betreibt die Europäische Kommission mit teils erstaunlicher Verbissenheit in den letzten Jahren eine Verschärfung der Rechtsdurchsetzung im Immaterialgüterrecht. Nur als das jüngste Beispiel dafür benannt werden soll die Positionierung der Europäischen Union zum Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA), welches der Bekämpfung von Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen dienen soll. Das Ergebnis Bernhard Kretschmers, dass „das deutsche Strafrecht offenbar für das ACTA gerüstet“ (S. 27) sei, überrascht angesichts der diesbezüglich „geradezu apokalyptischen Spekulationen in der interessierten Öffentlichkeit“ (S. 25). Kretschmers Beitrag „Transnationalisierung des strafrechtlichen Schutzes geistigen Eigentums“ verdeutlicht zweierlei: Erstens die Bedeutung „erlauchter Kreise“, politischen Kalküls und „guter Lobbyarbeit“ (ab S. 24, siehe in diesem Zusammenhang auch zur Rolle des führenden deutschen Technologieverbands BITKOM e.V. Bung auf. S. 152) in internationalen Organisationen, allen voran der Europäischen Union.

Infolgedessen drängt sich die Frage umso mehr auf, inwieweit Strafrecht zum Schutz geistigen Eigentums instrumentalisiert (S. 26) werden darf. Vorwiegend in seinem rechtshistorischen Abriss geht Kretschmer auf S. 16 darauf ein, dass „sich lange Zeit – und meist gilt das heute noch – die zivilrechtlichen Maßnahmen als hinreichend effektiv erwiesen hatten, um Schutzrechtsverletzungen zu begegnen.“ Eine These, die Hans Kudlich auf S. 40 teilt. Eindrücklich dazu das Beispiel auf S. 30 aus den letzten Jahren: Mit dem Einführen des zivilrechtlichen Auskunftsanspruches gemäß § 101 UrhG wurde eine Masse an rein verfahrenstaktisch motivierten Strafanzeigen obsolet. Effektive zivilrechtliche Rechtsinstrumente sollten dominieren. Zweitens zeigen die Ausführungen Kretschmers, dass auch das deutsche Urheberstrafrecht wesentlich europa- und völkerrechtlich vorgeprägt ist, also auch der strafrechtliche Schutz geistigen Eigentums der von Kretschmer dargestellten Transnationalisierung ausgesetzt ist. Das verblüfft, wird doch regelmäßig das Strafrecht als eine der letzten Bastionen nationaler Rechtsetzung beschrieben. Bung erachtet die gesetzgeberischen Vorhaben auf EU-Ebene in mannigfacher Hinsicht für inakzeptabel. Kompetenzielle Unklarheiten bei der EU-Rechtsetzung, aber vor allem die „mit elementaren Grundsätzen des rechtsstaatlichen Strafverfahrens, insbesondere der Unschuldsvermutung unvereinbare Idee von Strafverfolgung auf Basis von Public Private Partnership“ (S. 148) auf europäischer Ebene finden in Bung einen entschiedenen Gegner.

Doch auch weil sich das Strafrecht im Schutzbereich geistigen Eigentums noch bis vor wenigen Jahren in einem Dornröschenschlaf befunden hat, kann es nun als Katalysator wesentlich zu rechtspolitischen, rechtssystematischen und internationalen Weichenstellungen im Urheberrecht insgesamt beitragen. Strafrechtswissenschaft könnte sich etwa an eine autonome Neubestimmung des Schutzgegenstandes und -umfanges geistigen Eigentums heranwagen. Als in der deutschen Rechtssprache „wenig treffsicher“ und „sogar verfälschenden Begriff“ sieht auf S. 14 Bernhard Kretschmer das „geistige Eigentum“, das etwa im Bereich der urheberrechtlichen Schutzdauern eine stetige Expansion (S. 31) erfährt. Zumindest vereinzelt erkennen Hauptakteure inzwischen diese auch begriffliche Problematik. Nach Drucklegung des vorliegenden Buches hat das Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht (so noch der Hinweis bei Fußnote 17 auf S. 14) neuerlich umfirmiert, nun zum Max-Planck-Institut für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht.

Private EndnutzerInnen, Jugendliche etwa, oder das Universitäts- und Bibliothekspersonal sollen in ihrer Alltagsnutzung des Internets nicht kriminalisiert werden, wobei die Grenze etwa zu beträchtlicher und letztlich auch strafbewehrter Software- oder Musikpiraterie auch durch Online-Tauschbörsen fließend verläuft (Hans Kudlich, S. 41 und Bernd Heinrich, S. 59). Was aber, wenn sich die DurchschnittsnutzerInnen der strafrechtlichen Würdigung ihres Surfverhaltens nicht (zutreffend) bewusst sind? Diese Fragestellung nach dem (Un-)Rechtsbewusstsein breiter Bevölkerungsschichten bildet den Mittelpunkt des Referats „Irrtumskonstellationen im Urheberstrafrecht“ von Bernd Heinrich. Letztlich führt er zu der Grundsatzfrage, wie ein Urheberrecht im 21. Jahrhundert legitimiert ist, wenn es in seinen Kernanliegen dauerhaft von einer Bevölkerungsmehrheit nicht (mehr) verstanden wird. Politik und Justiz sind dem entgangen, indem auf eine Kriminalisierung vieler EndnutzerInnen verzichtet wird. Doch es drängt sich auf, dass dieser gelebte Rechtspragmatismus sich in einer mehr als grauen Gesetzeslage abspielt. Strafrechtsdogmatische Feinheiten mit großer Wirkung illustriert folgendes wissenschaftsrelevante Beispiel Heinrichs auf S. 64:

„Irrt sich der Täter über das Vorliegen eines tatsächlichen Umstandes, glaubt er also z.B., ein inzwischen gemeinfreies Werk Goethes vor sich zu haben, welches er in zulässiger Weise vervielfältigen dürfte, während es sich in Wirklichkeit um eine erst jüngst erschienene – und daher noch urheberrechtliche geschützte – Besprechung von Goethes Werk handelt, so liegt ein nach § 16 StGB zu beurteilender Tatbestandsirrtum vor, der den Vorsatz entfallen lässt.“

Entwarnung für den sich irrenden Nutzer also in diesem Fall eines Tatsachenirrtums, da das Urheberstrafrecht generell nur bei Handeln mit Vorsatz eingreift. Eine andere Bewertung für den Beispielsfall (nämlich ein Irrtum über die rechtliche Bewertung nach § 17 StGB) ergibt sich allerdings etwa dann, wenn die Nutzerin davon ausgeht, dass der Urheberschutz bereits mit dem Tod des Urhebers – und nicht wie nach geltendem deutschen Recht erst 70 Jahre nach dessen Tod – enden würde. Bei komplexen Rechtsfragen drängt sich hier freilich die Frage auf, inwieweit NichtjuristInnen für rechtliche Fehleinschätzungen strafrechtlich belangt werden sollen. Insbesondere die Lehre von den normativen Tatbestandsmerkmalen unterzieht Heinrich einer eingehenden Diskussion, wobei dabei acht anschauliche Beispiele ab S. 68 die strafrechtsdogmatische Einordnung typischer Urheberrechtsfälle vergegenwärtigen. Für das instruktive Anknüpfen an prägnante Kurzszenarien auch in den folgenden Kapiteln zu Irrtümern über Tathandlungen (S. 74) sowie über die Schranken wie etwa die Privatkopie (S. 78) verdient der Autor Lob.

Der im Sammelband umfangreichste Beitrag „Drahtlos straflos?“ stammt von Tobias Reinbacher und untersucht die Strafbarkeit von Inhabern ungeschützter WLAN-Zugänge, wenn diese für Straftaten genutzt werden. Zur Erhellung dieses Problemfeldes wesentlich beigetragen hat die BGH-Grundsatzentscheidung „Sommer unseres Lebens“ (Az. I ZR 121/08) vom 12.05.2010, welche leider nicht mehr grundlegend für den Beitrag herangezogen werden konnte.

Den noch jungen Straftatbeständen gegen Paparazzi (§ 201a StGB) sowie gegen Stalker (§ 238 StGB) widmet sich Kristian Kühl in seinem Beitrag „Neuere Entwicklungen im strafrechtlichen Schutz des Persönlichkeitsrechts.“ Neben der eingehenden Abschichtung und Abwägung des Persönlichkeitsschutzes verdeutlichen sich zentrale strafrechtliche Besonderheiten wie etwa die Unschuldsvermutung, das Resozialisierungsinteresse (S. 118), das Analogieverbot (S. 133) oder die gesetzlich geforderte Bestimmtheit von Rechtsbegriffen (S. 119, S. 131). Für die generelle rechtspolitische und rechtssystematische Debatte darüber, mit welchen Rechtsinstrumenten geistiges Eigentum adäquat zu schützen ist, erweisen die Erinnerungen Kühls an den fragmentarischen (S. 125) und subsidiären Wesenscharakter des Strafrechts (S. 135) in unserer Rechtsordnung einen wertvollen Dienst. Es wird also bei Kühl wie auch in den meisten anderen Beiträgen dieses Sammelbandes deutlich: Wechselwirkungen von Straf- und Zivilrecht berühren methodische Grundsatzüberlegungen. Die Anforderungen an die Bestimmtheit von Rechtsbegriffen wie auch die Auslegungsmethodik insgesamt lassen sich im Straf- und Zivilrecht durch die urheberrechtliche Brille nicht ohne weiteres einebnen. Und, um es deutlich zu sagen: Die unterschiedlichen Zwecke von Strafrecht und Zivilrecht verbieten es geradezu, einen aus straf- und zivilrechtlichen Bestandteilen zusammengewürfelten Gemischtwarenladen als urheberrechtliches Lösungsmodell zu rühmen.

Mit einer erfrischend klaren Positionierung beleuchtet Jochen Bung strafprozessuale Aspekte. Entsprechende Gesetzesnovellierungen zeichnen seiner Ansicht (S. 140) nach zusehends einen Weg, der den öffentlichen Strafanspruch erodieren lässt. Seine Schlussfolgerung diesbezüglich findet sich auf S. 143:

„Die Verhältnisse des rechtsstaatlichen Strafprozesses werden schlicht auf den Kopf gestellt.“

Ein Umbau des Strafprozessrechts bringe viele Effekte und Gefahren mit sich. Überaus skeptisch begegnet Bung unter anderem der strafprozessualen Aufwertung des Opfers zu einem aktiven, verfahrensgestaltenden Subjekt. Die stetig anwachsende Verfahrensbeteiligung geschädigter RechtsinhaberInnen behandelt Bung eingehend. Der Aspekt ist gerade im Urheberrecht von wesentlicher Relevanz, wird doch die Staatsanwaltschaft nach den Strafbestimmungen im Urheberrechtsgesetz vorwiegend nur auf Initiative der in seinen Urheberrechten verletzten Person aktiv (sog. Antragsdelikte). Schon im Zivilprozess sieht Bung dabei „eklatant den Rechtsinhaber begünstigende und massiv in die Rechtspositionen des angeblichen Verletzers eingreifende“ (S. 149) Regelungen etwa in der europäischen Enforcement-Richtlinie aus dem Jahr 2004, welche ihren Niederschlag 2008 im deutschen Urheberrechtsgesetz (§§ 101 ff. UrhG) fanden.

Abgerundet wird der Tagungsband von der anwaltlichen Praktikersicht Clemens Kesslers, dessen Beitrag „Probleme der Geschädigtenvertretung im Strafverfahren“ auch in weiten Teilen eine Gegenperspektive zu Bung einnimmt. So gelangt Kessler auf S. 156 zu dem Schluss, dass es sich für RechteinhaberInnen auszahle, „strafrechtliche und strafprozessuale Mittel gegen Rechtsverletzer einzusetzen“, damit das Vorgehen gegen sie insgesamt zu effektivieren, insbesondere Schadensersatzforderungen mithilfe des Strafverfahrens durchzusetzen, weitere Rechtsverletzungen aufzudecken sowie schließlich auch „einen indirekten Wettbewerbsvorteil“ zu erlangen. Ein Standpunkt Kesslers lautet auf S. 160:

„Ein effektiver Schutz der Rechte geistigen Eigentums ist nicht nur für deutsche Schutzrechtsinhaber, sondern auch für den sog. ‚Wirtschaftsstandort Deutschland‘ von herausragender Bedeutung. Die Wegnahme der Möglichkeit der Nebenklagevertretung im Strafprozess wäre allen Anstrengungen zur Stärkung der gewerblichen Schutzrechte wie auch der Stärkung des von der Politik propagierten ‚Innovations-Standorts Deutschlands‘ abträglich gewesen.“