Aus der Literatur: Gottlieb Rafael Wick (2010): Auskunftsanspruch gegen Zugangsanbieter

Rezension zu:

Gottlieb Rafael Wick (2010): Inhalt und Grenzen des Auskunftsanspruchs gegen Zugangsanbieter. Bonn: TGRAMEDIA, ISBN 978-3-941192-02-7, 34,80 Euro (weitere Informationen zum Titel beim Verlag).

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Mit § 101 UrhG hat der deutsche Gesetzgeber zum 1. September 2008 ein scharfes Schwert zur Durchsetzung von Urheberrechten geschaffen. RechteinhaberInnen können seitdem anhand einer IP-Adresse die Identität von InternetnutzerInnen ausforschen, ohne dazu den Umweg über eine Strafanzeige einschlagen zu müssen. Die namentliche Offenlegung von InternetnutzerInnen erfolgt durch den Internetprovider. Von dieser Drittauskunft betroffen sind vor allem das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sowie das Fernmeldegeheimnis der InternetnutzerInnen.

Der Auskunftsanspruch ist seit seiner Einführung schon zigtausendfach geltend gemacht worden. Schon deshalb dürfte die Bedeutung der Urheberrechtsvorschrift für die anwaltliche Berufspraxis immens sein. Auf die kompakte Dissertationsschrift „Inhalt und Grenzen des Auskunftsanspruchs gegen Zugangsanbieter – Eine Untersuchung des § 101 UrhG unter besonderer Berücksichtigung der Filesharing-Systeme“ von Gottlieb Rafael Wick werden so zuvorderst die RechtsvertreterInnen der Musik- und Filmindustrie sowie die Justitiariate der Internetprovider mit Interesse blicken. 

Mit anhaltend steigender Tendenz werden gerade Filme in Tauschbörsen online angeboten, wie Wick einführend feststellt. Die immer schnellere Datenautobahn führt inzwischen auch zu den privaten Internetzugängen und befördert auch dorthin große Datenpakete problemlos. Streng resümiert der Autor, dass „Nutzer von Tauschbörsen zumeist jegliches Unrechtsbewusstsein fehlen lassen“ (Seite 7). Davon sollte allerdings in bestimmten Bereichen, etwa bei Angeboten von und für Jugendliche (so auch auf Seite 71), nicht ausgegangen werden. Nicht umsonst wollte auch der Gesetzgeber den „gutgläubigen Endverbraucher“ nicht einer drastischen Rechtsdurchsetzung aussetzen (dazu Seite 71). Generell ist sich wohl eine Vielzahl der InternetnutzerInnen nicht der ambivalenten Funktionsweise von Filesharing-Systemen bewusst: Die User beziehen urheberrechtlich geschütztes Material und stellen es gleichzeitig selbst anderen zum Download bereit (zu dieser Doppelrolle siehe auch Seiten 24ff.). Ein Missverständnis eingeschlichen hat sich auf Seite 26 bezüglich des Herunterladens. An dieser Stelle heißt es, die Anwendbarkeit von § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG sei „in Fallkonstellationen, in denen bereits die Ursprungsdatei unlizenziert ist, nicht gegeben.“ Richtig ist, dass die Rechtswidrigkeit der öffentlich zugänglich gemachten Vorlage offensichtlich sein muss, wofür die RechteinhaberInnen auch die Beweislast tragen. Nach einer Entscheidung des Kammergerichts Berlin (NJW 1997, 1160) ist eine Rechtsverletzung nur dann offensichtlich, wenn ein Irrtum über die Rechtswidrigkeit kaum möglich ist. Der Nutzer muss dazu auch keine eigenen Nachforschungen anstellen. Ferner ist zu beachten, dass bisweilen auch bekannte MusikerInnen ihre Werke frei zugänglich machen, auch für die weitere Verbreitung etwa über Tauschbörsen im Internet. Von einer fehlenden Anwendbarkeit der Privatkopie-Regelung bei Tauschbörsen per se kann folglich nicht ausgegangen werden. Letztlich kommt es aber auf die Downloads für die Betrachtung von Filesharing hier nicht an, denn bei Tauschbörsen werden regelmäßig die Uploads die einzig nachweisbaren Handlungen und damit für die Rechtsverfolgung maßgeblich sein (Seite 61).

In Hinblick auf die Beliebtheit von Filesharing drängt sich auch die Frage auf, warum die Unterhaltungsindustrie im online-Bereich nach wie vor nicht flächendeckend attraktive Geschäftsmodelle (inklusive taugliches Mikropayment für Massengeschäfte) etablieren. Auch darf nicht verkannt werden, dass dem Konzept des geistigen Eigentums eine Akzeptanzkrise in den jungen Generationen droht. Ob eine Medienabgabe oder ein sonstiger kollektiver Vergütungsausgleich ähnlich wie bei der Privatkopie eine tragfähige und politisch mehrheitsfähige Lösung de lege ferenda sein könnten, bleibt abzuwarten. Die vorliegende Monographie verzichtet auf dahingehende Überlegungen. Stattdessen steht die Ebene der Rechtsanwendung von § 101 UrhG eindeutig im Vordergrund, der „Zweck und die Sachdienlichkeit der Norm“ (Seite 5) sollen näher untersucht werden.

Andere grundsätzliche Erwägungen zur Rechtsdogmatik etwa des geistigen Eigentums werden angedeutet. Das Original nimmt in einer online-Tauschbörse keinen Schaden beziehungsweise kommt dem Rechteinhaber nicht abhanden, wenn eine Distribution in Filesharing-Netzwerken erfolgt. Wichtig für die rechtssystematische Einordnung ist auch der Hinweis auf Seite 21, dass vornehmlich die Software-, Film- und Musikindustrie an der Rechtsdurchsetzung ihrer Leistungsschutzrechte interessiert sind. Nur nachgeordnet treten die UrheberInnen mit dem Schutz ihrer kreativen Arbeit auf. Erst in dem Ausblick ganz am Ende des Buches und leider nicht etwa schon auch bei den technischen Grundlagen auf den Seiten 15f. nimmt sich der Autor der Tendenzen an, dass zum Beispiel mithilfe von Tor-Netzwerken zur Verschleierung (Seite 152) oder bei Nutzung von Hot Spots in öffentlichen Räumen (zur Problematik für Anschlussinhaber auf Seiten 77f., siehe dazu aktuell z.Bsp. OLG Köln, Beschluss vom 24.03.2011 - 6 W 42/11, OLG Frankfurt aM, Urteil vom 21.12.2010, Az. 11 U 52/07, LG Köln, Beschluss vom 10.01.2011, Az. 28 O 421/10, LG Hamburg, Urteil vom 25.11.2010, Az. 310 O 433/10 oder LG Frankfurt, Urteil vom 18.08.2010, Az. 2-06 S 19/09) die beschriebene Zuordnung der IP-Adresse zu einer bestimmten Person vereitelt werden kann. Gerade angesichts der teils offenkundigen Absicht eines Urheberrechtsverstoßes von „unredlichen Nutzern“ (Seite 152) wäre jedoch gerade in diesen Fällen eine konsequente Verfolgung von Rechtsverstößen wünschenswert.

Die überzeugende Darstellung des Auskunftsanspruchs gegen Zugangsanbieter beginnt auf Seite 36. Eine verschiedentlich belegte Erkenntnis kann den Seiten 38f. entnommen werden: Auf die richterrechtlich geschaffene und in ihren Einzelheiten problematische Störereigenschaft auch von Internetprovidern braucht nicht zurückgegriffen werden, da gegen die Zugangsanbieter regelmäßig § 101 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UrhG anwendbar ist. Als weithin auch eigenständige Erkenntnisbeiträge erweisen sich die vertieften Auseinandersetzungen mit den tatbestandlichen Voraussetzungen eines Auskunftsanspruchs gegen Zugangsanbieter. Für die gesetzliche geforderte Offensichtlichkeit der Rechtsverletzung konstatiert Wick (Seite 44):

„Ist man technisch in der Lage, die Spur des Verletzers lückenlos zu ermitteln, kann in der Regel auch das Vorliegen des Merkmals der offensichtlichen Rechtsverletzung bejaht werden.“ 

Das Herzstück der Dissertation besteht in einer Annäherung an die stark auslegungsbedürftige Voraussetzung „gewerbliches Ausmaß“. Dieses Merkmal bildet zusammen mit der richterlichen Vorprüfung den Filter gegen eine Ausforschung der Internetkommunikation wegen Bagatellverstöße. Der Autor diskutiert mögliche Kriterien aus Rechtsprechung und Literatur zur Bestimmung des gewerblichen Ausmaßes von Urheberrechtsverletzungen. „Natürliche Schwellenwerte“ lehnt Wick ab. Eine Maßschnur stellt er für die seiner Ansicht nach unvermeidbare Einzelfallprüfung folgendermaßen auf (Seite 70):

„Im Falle der Bestimmung des Merkmals des gewerblichen Ausmaßes können als Indizien etwa Anzahl und Umfang des oder der angebotenen Werke und die sich auf deren Verkaufs- bzw. Verwertungsphase beziehende Aktualität dienen.“

Zu recht eine nähere Behandlung erfährt der richterliche Anordnungsvorbehalt, den auch der Autor dieses Buches mit einem großen Vertrauensvorschuss versieht. Tatsächlich ist es naheliegend, dass sich die Grundrechte auf Datenschutz und das Fernmeldegeheimnis bei einer richterlichen Vorab-Prüfung in weiser Obhut befinden. Der Richtervorbehalt ist auch dringend erforderlich, weil die InternetnutzerInnen von dem Ausforschungsverfahren nichts wissen und somit dessen Rechtmäßigkeit auch nicht selbst prüfen können (siehe zum Beispiel Seite 105). Es ist insoweit zu hoffen, dass sich die zuständigen Gerichte und die Internetprovider als Daten-Treuhänder ihrer Verantwortung bewusst sind (skeptisch zeigt sich  jedoch auch der Autor in seiner Schlussbemerkung). So obliegt es den Providern, für ihre Daten je nach spezialgesetzlicher Speicherungserlaubnis sorgsam verschiedene Schubladen einzurichten. Kommunikationsdaten, die aufgrund einer (wieder neu einzuführenden) Vorratsdatenspeicherung zur Terrorabwehr vorzuhalten wären, dürfen daher nicht im Rahmen von § 101 UrhG herausgegeben werden (Seite 102).

Rechtssystematisch bedeutsam ist auch die Diskussion ab Seite 107, ob überhaupt Verkehrsdaten in relevanter Weise betroffen sind, denn nur ein auf Verkehrsdaten gerichtetes Auskunftsbegehren löst den Richtervorbehalt im Rahmen von § 101 UrhG aus. Jedenfalls im Ergebnis ist Wick zuzustimmen, wonach für die gewünschte Identifizierung auch Verkehrsdaten erforderlich sind. Wohlgemerkt: Selbstverständlich ist dieses Ergebnis nicht, denn es ist der/die RechteinhaberIn, der/die die Verkehrsdaten schon besitzt und sodann dem Zugangsanbieter zwecks Herausgabe der zugehörigen Bestandsdaten (Name, Anschrift) vorlegt. 

Im Folgenden wird die aktuell spannende Frage aufgeworfen, wie lange Zugangsanbieter überhaupt Kommunikationsdaten speichern dürfen (siehe dazu aktuell z.Bsp. auch BGH, Urteil vom 13.01.2011 - III ZR 146/10). Nach der Aufhebung der Vorratsdatenspeicherung verfassungshalber erachtet die instanzliche Rechtsprechung eine Speicherdauer von bis zu sieben Tagen als zulässig (Seite 120). Die Überschrift dieses Kapitels „Speicherung auf ‚Zuruf‘“ lässt erinnern an die aktuellen Vorschläge des Bundesjustizministerium für so genannte Quick-freeze-Verfahren als Nachfolgeregelung für die Vorratsdatenspeicherung. Der Autor wählt indessen eine teils davon abweichende zweistufige Prüfung: Zunächst bejaht er die Verpflichtung des Internetproviders zur Verkehrsdatenspeicherung als leistungsbezogene Nebenpflicht zur Auskunftserteilung (Seiten 117 ff., siehe dazu aktuell z. Bsp. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 17.02.2011, Az. 1 BvR 3050/10, oder instruktiv auch OLG Hamm, Urteil vom 02.11.2010, Az. I-4 W 119/10, OLG Düsseldorf, Urteil vom 15.03.2010, Az. I-20 U 136/10). Sodann verweist er aber auf das telekommunikationsrechtliche Löschungsgebot, welches auch nicht von einer speziellen gesetzliche Legitimierung – dazu geprüft werden § 101 UrhG, § 100 Abs. 3 S. 1 TKG und das Bundesdatenschutzgesetz – durchbrochen wird. Nach einer Gesamtschau der relevanten Datenschutzvorschriften kommt Wick zu folgendem Ergebnis (Seiten 131f.):

„Ein eigenständiger Anspruch auf Speicherung von Verkehrsdaten im Sinne des § 3 Nr. 30 TKG besteht nicht. (…) Würde man einen derartigen Anspruch dem Grunde nach bejahen, käme das der Gestattung einer Vorratsdatenspeicherung gleich, die aber ohne eine verfassungsgemäße gesetzliche Grundlage unzulässig ist.“

Eher exkursgestaltig widmet sich das letzte Sachkapitel der Haftungsprivilegierung von Zugangsanbietern nach Telemediengesetz. Zumindest prima facie erscheint es ungewöhnlich, gegen Auskunftserteilungen Haftungsprivilegierungen heranzuziehen, die ansonsten zuvorderst zur Abwehr von Schadensersatz geprüft werden. Zumindest das insofern gefundene Ergebnis vermag dann auch wenig zu überraschen (Seite 149): Die durch § 8 Abs. 1 und § 9 Abs. 1 TMG „gewährte Haftungsprivilegierung stellt jedoch den Zugangsanbieter nicht von einem Auskunftsbegehren frei.“

 

Insgesamt vermittelt Gottlieb Rafael Wick einen gelungenen Überblick über das urheberrechtliche Auskunftsverfahren gegen Zugangsanbieter. Dabei arbeitet der Autor zahlreiche instanzgerichtliche Entscheidungen und Einzelmeinungen aus der Fachliteratur auf, die sich auch nach dem Redaktionsschluss im Juni 2010 unvermindert fortsetzen. Die Durchsetzung von Urheberrechten, die Einhaltung des Datenschutzes und die gesetzlichen Vorgaben für Access Provider befinden sich in einem engen Zusammenspiel. Wie es die Dissertationsschrift zutage fördert, sind die einschlägigen Spezialnormen auch angesichts wiederholter Gesetzesnovellierungen nicht immer friktionsfrei in Einklang zu bringen. Verfassungsrechtliche Implikationen stehen im Hintergrund der Untersuchung, während sich der Autor auf die für die Anwendungspraxis der Auskunftsnorm neuralgischen Tatbestandsmerkmale konzentriert. Seine Darstellungen etwa zum tatbestandlichen „Gewerblichen Ausmaß“, zum eigens geregelten einstweiligen Rechtsschutzverfahren oder zum obligaten richterlichen Gestattungsverfahren kann als ein ergiebiges Kompendium zurate gezogen werden.