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Rückruf für Überzeugungstaten? Der schwierige § 42 UrhG in digitalen Kommunikationsgemeinschaften.
Zusammenfassung:
Der § 42 des deutschen Urheberrechtsgesetzes räumt dem Urheber das Recht ein, das Nutzungsrecht für Werke dann zurückzurufen, wenn er aufgrund einer grundlegenden Wandlung seiner Überzeugung davon ausgeht, dass ihm eine weitere Nutzung nicht mehr zumutbar ist. Wie sich ein solcher Rückruf in digitalen Publikationsumgebungen darstellt, wurde bisher selten thematisiert. Ähnliches gilt für die Folgen eines solchen Rückrufs bei einer bereits erfolgten Referenzierung z.B. über Zitate in der Wissenschaft.
Dabei erweist sich in diesen Fällen ein Anwendung als doppelt problematisch: die Chance ein Werk tatsächlich dauerhaft einer Nutzung zu entziehen erscheint aufgrund der leichten Reproduzier- und Redistribuierbarkeit digitaler Objekte vergleichsweise gering, eine legale Weiternutzung von lizenzierten Inhalten beispielsweise in der Wissenschaft über Digitale Bibliotheken wird im Vergleich zu Druckausgaben, die auch nach einem Rückruf im Bestand verbleiben, nahezu ausgeschlossen.
Eine häufigeres Auftreten von Rückrufen nach § 42 UrhG, wie es in einem jüngst erschienene Aufsatz für die digitale Umgebungen angenommen wird, würde daher die Wissenschaftskommunikation u.U. deutlich behindern. Insofern sollten derartige Fälle eine höchst seltene Ausnahme bleiben.
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Das Problem der Jugendwerke
Es geschieht nicht oft, dass der § 42 UrhG in die Schlagzeilen gerät, was vielleicht daran liegt, dass er vergleichsweise selten Gegenstand spektakulärer Gerichtsentscheidungen ist. Auch der Fall der Schauspielerin Sibel K., die die Ausstrahlung von Bildern aus zweifellos als klassische Jugendsünde zu bewertenden Filmaufnahmen über den Umweg dieses Paragraphen per einstweiliger Verfügung untersagen ließ, bringt den Paragraphen nur deshalb ein wenig in die Öffentlichkeit, weil es hier, wie Peter Muehlbauer auf Telepolis mitteilt:
„offenbar erstmals gerichtlich angewendete Ausdehnung des im Urheberrecht enthaltenen "Rückrufsrechts wegen gewandelter Überzeugung" bekannten Personen eine Möglichkeit gibt, der Öffentlichkeit legal getätigte Aufnahmen aus der Vergangenheit vorzuenthalten.“ [1]
Einerseits lässt sich natürlich hinterfragen, ob man aus innerer Überzeugung antritt, wenn man in einer Harry S. Morgan-Produktion als Kim aus Mannheim mit einem Schauspieler namens Chris Charming als junge Debütantin antritt, oder einfach nur jung ist und das Geld braucht. Andererseits kann man die Überzeugung nicht ausschließen. Und wenn man das tut, dann greift der Kommentar von Dreier / Schulze, in dem man liest, dass die „gewandelte Überzeugung“ „weit auszulegen“ sei. Zwar gilt: „Hält der Urheber sein Werk nachträglich für weniger gelungen, liegt darin noch kein Überzeugungswandel.“ [2] Andererseits dürften bereits schon zwischen den Produzenten der frühen und der aktuellen Werke der Schauspielerin derart große ästhetische Differenzen, dass „Tatsachen […], die auf einen Überzeugungswandel schließen lassen“ könnten, zweifelsohne vorliegen. Ob diese als Indikatoren für eine gewandelte Überzeugung nach § 42 UrhG zureichen, kann hier nicht abschließend beurteilt werden.
Dennoch scheint die Hürde des § 42 UrhG gewaltig, denn der Rückruf ist auch mit Entschädigungszahlungen an den Verwerter verbunden. (§ 42 Abs. 3 UrhG) Insofern wird, besonders wenn sich das spätere Schaffen in einer anderen Hemisphäre der inneren Einstellung bewegt, so manche Jugendsünde zwar bitter bereut, aber u.U. einfach auch aus finanziellen Gründen nicht zurückgezogen.
§ 42 UrhG in der Wissenschaft
In der Wissenschaft wird der Rückruf weniger für Sündenfälle oder andere Peinlichkeiten relevant, sondern meist dann, wenn man sich soweit von seinem Ausgangspunkt entfernt, dass man sich dank neuer Erkenntnisse de facto selbst widerlegen müsste. Andererseits wohnt jedem Streben nach Erkenntnis auch ein Irrtum inne und dieser müsste schon sehr gravierend sein, um sich der Last eines Verfahrens zu stellen, das womöglich ein längst in der Halbwertszeit der Forschungswelt versunkenes Werk wieder in den Lichtkegel der allgemeinen Aufmerksamkeit rückt. Besonders problematisch dürfte es bei gedruckten Sammelband- oder Zeitschriftenpublikationen werden. Und was bei einem Rückrufverfahren von Qualifikationsschriften an hochschulrechtlicher Komplexität aufblüht, möchte sich wohl kaum ein Jurist ausmalen. (sh. dazu auch Rohlfing, Bernd; Kobusch, Christian (2000): Das urheberrechtliche Rückrufsrecht an Dissertationen wegen gewandelter Überzeugung. In: ZUM, Jg. 44, H. 4, S. 305–309, die einen der seltenen und umso bemerkenswerten Fälle betrachten.)
Dennoch scheint § 42 UrhG als eine Art Schutz des Urhebers vor seinem Verwerter in bestimmten Zusammenhängen sinnvoll und bei Dreier / Schulze findet sich ein gutes Beispiel:
„Für einen Wissenschaftler kann es jedoch rufschädigend und deshalb unzumutbar sein, wenn er zusehen muss, wie sein wegen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse überholtes und veraltetes Werk weiter verwertet wird.“[3]
Betroffen sein dürften hierbei allerdings weniger Jugendwerke, als jüngere Publikationen, für die sich womöglich just im Moment der Verlagsauslieferung ein neuer Zusammenhang ergibt, der dem druckfrischen Werk eine sehr irritierte Rezeption in der Fachgemeinschaft bescheren würde. Wenn er Glück hat, kann er noch per § 35 VerlG eingreifen. Wenn allerdings schon die Universitätsbuchhandlung das Regal bestückt, bleibt nur noch § 42.
Der Paragraph erstreckt sich genauso auf Open Access-Publikationen, die in Repositorien eingestellt werden. Denn der Wissenschaftler, der seine Verlagsexemplare vom Wissenschaftsbuchmarkt nehmen lässt, wird genauso ein Interesse daran haben, dass die Zweitveröffentlichung auf dem Hochschulserver unsichtbar wird. Besonders aufmerksame Repositorienbetreiber weisen sogar dezidiert auf die Möglichkeit einer Depublizierung nach § 42 UrhG hin. [4] Die ist dann auch meist die einzige. Sie gilt übrigens als unabdingbares Urheberpersönlichkeitsrecht auch dann, wenn der Passus in den Nutzungsbedingungen fehlt.
Es bleibt die Frage, wie häufig diese Fälle sind und selbst bei aufmerksamen Repositorienbetreiber lassen sich nicht auf den ersten Blick Angaben zu tatsächlichen Rückrufen finden. Das könnte daran liegen, dass § 42 UrhG eher selten zum Einsatz kommt.
Obwohl also Szenarien für einen Rückrufbedarf in der Wissenschaft konstruierbar und manchmal auch in unglaublicher Form anzutreffen sind, scheint man sich in der Wissenschaft generell wohl besser auf die Selbstregulierung solcher Fälle in der Wissenschaftsgemeinschaft zu verlassen. Zumal sich ein einmal ruiniertes Renommee bestenfalls in einer sehr frühen Phase einer Wissenschaftskarriere durch § 42 UrhG kompensieren lassen dürfte. Zudem bleibt das Zitatrecht von § 51 UrhG unberührt und auch Werkexemplare, die sich in den Händen Dritter – also vermutlich auch öffentlichen Bibliotheken – befinden, verbleiben dort zur Nutzung. [5] Diese könnten sich bei Bekanntwerden eines Rückrufverfahrens sogar einer besonderen Nachfrage erfreuen.
§ 42 UrhG in digitalen Kommunikationsgemeinschaften
Anders als beim Publikationsaufkommen der formalen Wissenschaftskommunikation stellt sich die Sachlage möglicherweise bei den mittlerweile auch in der Wissenschaft (z.B. IUWIS) entwickelnden interaktiven, kollaborativen und in puncto Formalität auf großer Bandbreite operierenden digitalen Kommunikationsplattformen dar.
Sowohl das Publizieren wie auch das Löschen (bzw. Depublizieren) scheinen hier prinzipiell leichter möglich, als im Printbereich. Mitunter kann der Urheber, beispielsweise bei eigenen Blogs auf Wordpress.com oder dem eigenen Twitter-Feed, beim Rückruf gleich stillschweigend selbst Hand anlegen und seinen Beitrag entfernen.
Muss er sich dafür aber an einen Plattformbetreiber wenden, wird es schwieriger. Als ganz kompliziert entwickelt sich die Sachlage, wenn ein Inhalt bereits referenziert oder gar – da beispielsweise unter einer CC-Lizenz publiziert – in andere Inhalte eingeflossen ist.
Als heikel erweist sich zudem, dass die Hypertextstrukturen des Internets mit ihren automatischen Erschließungen (und teilweise einem automatischen Caching) nahezu aller dort publizierten Inhalte in einen Volltext durchsuchbaren Archivraum führen. Was einmal im Web ist, lässt sich meist kaum mehr oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand tilgen. Sofern auch nur lokal eine Kopie der jeweiligen Datei weiterexistiert, lässt sich diese problemlos wieder republizieren (z.B. über das in der Netzwelt sehr beliebte leaken). Dass eine ungewollte Publikation de facto in einem Bibliotheksmagazin vergessen wird und sich der Rückruf dabei erledigt, ist hier nicht mehr gegeben. Alles ist irgendwie wieder auffindbar und kann gegebenenfalls auch relativ leicht gegen den Autor verwendet werden.
Generell gilt außerdem, dass die Werkexemplare, die sich im Besitz Dritter befinden, dem Rückruf entzogen sind. Wie sich dies für digitale Kontexte darstellt, in denen keine Exemplare im engeren Sinne vorliegen, ist dagegen kaum zu bewerten. Kopien, die aus irgendwelchen Gründen irgendwo online (z.B. im Internet Archive) liegen, verblieben entsprechend auch dort. Entfernt werden sie nur beim Verwerter. Die Jugendfilme der Sibel K. sind daher nach wie vor, wenn auch vermutlich nicht ganz legal (dies jedoch nicht aus Gründen des Rückrufs), problemlos über entsprechende Tubes oder Torrent-Anbieter abrufbar, also der Weböffentlichkeit nicht entzogen.
Zudem machen die Netzwerkstrukturen der Blogosphäre und die vielfältigen Kommentarfunktionen mit diversen Verweisformen das Problem der Zitierbarkeit rückgerufener Publikationen, das es in der Wissenschaft gibt, zu einem allgemeinen: Referenzierte, aber nicht mehr rezipierbare Inhalte verunmöglichen ein nachträgliches erschöpfendes Nachvollziehen einer Zitationskette.
Eine Renaissance des Rückrufs im Web 2.0?
Erlebt also der Rückruf aufgrund gewandelter Überzeugung in digitalen Zusammenhängen eine Blüte? Der Mainzer Rechtsanwalt Christian Rauda stellt diese Frage in einem grundsätzlichen Aufsatz zum Verhältnis des Paragraphen zum Web 2.0. [6] Eine abschließende Antwort findet der Text nicht. Aber dafür ein ziemlich populäres Problem. Denn auf den Publikationsplattformen des so genannten Web 2.0 entstehen publizierte Inhalte nicht nur in einem Umfang, der aus der Printwelt nicht bekannt ist, sondern auch in einer Spontanität, bei der die Folgechance eines Überzeugungswandels ungleich größer ist. Die innere Einstellung zu einem nach Mitternacht aus innerer Erregung heraus verfassten Schmähtext kann sich mitunter binnen Stundenfrist ändern. Wo man früher auf die Publikation schlicht verzichtete und das Typoskript in den Papierkorb warf, glänzt das abendliche Spätwerk mitunter schon nach Minuten rege gelesen in einem Internetforum.
Rauda geht in seinem Text ähnlich vor allem von nutzergenerierten Inhalten aus, die aus mehr oder weniger jugendlichem Leichtsinn entstehen und wenige Jahre später einen Fallstrick beim Bemühen um erwachsene Seriösität spannen. Das Identitätsmanagement im Web ist auch in der allgemeinen Presse der letzten Jahre ein ständig aufgegriffenes Thema, wobei die urheberrechtlich begründbare Rückrufmöglichkeit bei innerer Distanzierung dort kaum eine Rolle spielt. Im Zentrum steht vielmehr der Datenschutz und für so manches, was gelöscht werden sollte, bietet sich die Eingriffsmöglichkeit vermutlich besser über diesen Rechtsweg.
Nichtsdestotrotz ist Raudas Aufsatz zum § 42 UrhG und dem Web eine willkommene Lektüre, denn der Autor stellt den Sachverhalt sehr grundlegend und gründlich dar. Entsprechend schließt die Problematisierung Raudas eine Lücke, die sich naturgemäß ein stückweit nüchterner liest als die Erlebnisberichte zur „Karrierefalle Internet“ aus den Publikumszeitschriften:
„D[...]er typische tatsächliche Geschehensverlauf erinnert den Urheberrechtler an den Regelungszweck des § 42 UrhG […]. In der Folge soll überprüft werden, ob das urheberrechtliche Rückrufinstrument durch das Web 2.0 eine Renaissance erleben wird.“ [7]
So beginnt Rauda seine Überprüfung mit einer Betrachtung des Kontexts zu anderen Rückruf- und Urheberpersönlichkeitsrechten und unterstreicht die Quasi-Spiegelbildlichkeit von § 42 UrhG zu § 12 UrhG (Veröffentlichungsrecht):
„Während nach § 12 UrhG der Urheber das Ob und Wie der Veröffentlichung bestimmen darf, schützt § 42 UrhG den Urheber davor, dass ein Werk ausgewertet wird, hinter dem er nicht mehr steht.“ [8]
Zudem zeigt er die Parallele zu § 35 VerlG, nach dem ein Urheber von einem Verlagsvertrag dann zurücktreten kann, wenn „veränderte Umstände“ vorliegen und die Vervielfältigung noch nicht begonnen hat. Die Umstände sind hierbei allerdings viel weiter gefasst, als beim § 42 UrhG, der tatsächlich nur die Überzeugung des Urhebers als Maßstab gelten lässt. Im Mittelpunkt steht bei beiden Regelungen die gegenwärtige Unerkennbarkeit der (persönlichen) Position des Urhebers in der Zukunft. Es wird ihm folglich ein Recht auf Irrtum zugestanden, das jedoch in beiden Fällen mit den wirtschaftlichen Interessen durch einen Verwerter, der sich auf die Vervielfältigung und Verbreitung eingelassen hat, in Übereinstimmung zu bringen ist. Diese Abwägung ist für die Feststellung der (Un-)Zumutbarkeit einer andauernden Werkverwertung entscheidend. Allerdings sind viele nutzergenerierte Inhalte keine Verlagspublikationen im klassischen Sinn, können es aber werden, wenn sie z.B. unter einer entsprechenden Lizenz wie Creative Commons weiterverwertet werden dürfen. Welche Rechtskonstellation sich daraus in Hinblick auf § 42 UrhG ergibt, scheint noch völlig ungeklärt.
Im Wandelgang der Überzeugung
Als schwierig stellt sich in jedem Fall die Vorrausetzung der „gewandelten Überzeugung“ dar, beruht sie doch, wie auch am eingangs genannten Beispiel der Schauspielerin angedeutet, auf einer weitgehend subjektiven Einschätzung. Dass einem etwas im Nachhinein als peinlich erscheint, reicht, wie schon erwähnt, nicht aus. Die Weiterverwertung muss buchstäblich „nicht mehr zumutbar“ sein. Der Urheber ist dabei in der Beweispflicht. Während der Überzeugungswandel seine alleinige Sache ist, gilt bei der Unzumutbarkeitsregel die Interessenabwägung zwischen Urheber und Verwerter. Im Urheberrechtskommentar von Dreier / Schulze liest man dazu
„Eine nachträgliche Unzufriedenheit oder geschmackliche Nuancen genügen für das einschneidende Mittel des Rechterückrufs in der Regel nicht.“ [9]
Die Beeinträchtigung, die dem Urheber droht, wenn sein Werk weiter verwertet wird, muss im Verhältnis zu den Interessen des Verwerters deutlich schwerer wiegen. Letztere sind in der Regel wirtschaftlicher Art und daher lässt sich vermuten, dass die Unzumutbarkeitshürde umso schwerer zu nehmen ist, je höher die Kosten und der ausfallende Verwertungsnutzen sind.
Beides ist, wie auch Rauda ausführt, dort, wo nutzergenerierte Inhalte erzeugt werden, beim einzelnen Fall zumeist gering. Der wirtschaftliche Nutzen, den Amazon aus einer Kundenrezension zieht, liegt im günstigen Fall darin, dass unschlüssige Käufer zum Erwerb überredet werden. Ihr Verlust führt im ungünstigsten Fall dazu, dass derselbe unschlüssige Käufer ein Produkt nicht bestellt, weil seine Unsicherheit behoben wird. Wie groß dieser Effekt tatsächlich ist, kann wahrscheinlich nur Amazon abschätzen.
Auf Plattformen wie Facebook, in Internetforen oder auch bei Leserkommentaren bei digitalen Presseangeboten dienen die Inhalte vor allem dazu, das Gespräch in Gang zu halten und dadurch als Nebenwirkung möglichst viele Werbeeinblendungen zu generieren. Die wirtschaftliche Bedeutung der Einzelbeiträge ist auch hier kaum ab-, vermutlich aber als gering zu schätzen. Insofern kann man davon ausgehen, dass der Interessenausgleich in Hinblick auf die Verwerteransprüche zu einem marginalen Aspekt schrumpft.
Bleibt also die gewandelte Überzeugung. Steht sie in Beziehung zu den Verwerterinteressen und sind diese sehr gering, so müsste folgerichtig die Messlatte der Zumutbarkeit ebenfalls vergleichsweise geringer liegen. Das entbindet den Urheber aber nicht vom Nachweis seines Überzeugungswandels.
Im Umgang mit nutzergenerierten Inhalten im Internet ist das ein durchaus spannendes Phänomen, da der Urheberrechtsgesetzgeber Mitte der 1960er Jahre wahrscheinlich nicht berücksichtigte, wie vielfältig sich das Quasi-Publikationsaufkommen und Publikationsformenspektrum im Web 2.0 entwickelt. Nicht jede denkbar mit einem persönlichen Nachteil verbundene Äußerung, die in den Webveröffentlichungsraum einfließt, beruht auf einer Überzeugungstat. Oft sind es schlichte Nachlässigkeit, kurzzeitige Euphorie, tagesformabhängiger Zynismus oder ein plötzliches Wutgrollen, die in entsprechenden Beiträgen auf den Plattformen einen Ausdruck finden, dem nicht jeder sofort einen Werkcharakter zusprechen würde. Publiziert ist er dennoch.
Daraus eventuell resultierende Nachteile für eventuelle Urheber sind in der Hauptsache ein soziales Resultat. Es geht hier weniger um die eigene Überzeugung, sondern um das, was das betroffene soziale Umfeld erwartet und wie es die Inhalte interpretiert. Diese Erwartungshaltungen sind einem gesellschaftlichen Wandel unterworfen und gerade auch im Web scheint sich die Toleranzgrenze zu verschieben: Mittlerweile relativiert sich häufig eine allzu strenge moralische Interpretation webkommunikativer Handlungen zugunsten einer gelasseneren. Auch die vielgerühmten googelnden Personalchefs haben verstanden, dass es sich bei sozialen Netzwerken sehr häufig um vertextete Oralität handelt.
Die Aufzeichnungsmöglichkeiten ermöglichen es demnach schlichtweg, dass Dinge in das Weltgedächtnis einfließen, die vielleicht besser als Pausengespräch verhallt wären. Fälle, die so schwer wiegen, dass eine unzumutbare Nachteiligkeit vorliegt, die den Rückgriff auf § 42 UrhG erfordert, dürften auch in den spontanen Interaktionsbereichen des Internets selten sein. Nicht zuletzt bleibt, wenigstens bei Texten, die Frage der Schöpfungshöhe als Relevanzkriterium. Nicht alles, was im Netz publiziert wurde, ist vom jeweiligen Autor in dem gleichen Sinne als Werk intendiert, auf dem der § 42 UrhG 1965 konzipiert wurde.
Manche jedoch schon und daher sollte man fraglos diskutieren, wie sich die Omni-Dokumentation von Kommunikation im Web auf das gesellschaftliche Akzeptable, also die Frage nach der Zumutbarkeit auswirkt. Die digitalen technischen Kommunikationswerkzeuge verändern die Kommunikationspraxis. Ein verändertes soziales Verständnis sollte auch auf die sozial-regulativ wirkende Dimension des Rechts zurückwirken.
Implikationen für die Gestaltung von digitalen Kommunikationsräumen
Wie sich die Gemengelage in den interaktiven Kommunikationsumgebungen des WWWs darstellt, bleibt undeutlich. Zum Teil – wie bei Twitter-Meldungen – ist der urheberrechtliche Status der Meldungen nicht ganz einfach zu bewerten. [10]
Andererseits müsste im Prinzip jeder Blogbetreiber, der Beiträge und Kommentare zu erwarten hat, die die Schöpfungshöhe erreichen, von der Existenz dieser Rückrufmöglichkeit wissen, was – wie auch von der Autorenseite – nicht unbedingt zu erwarten ist. Das muss nicht von Nachteil sein, denn für nutzergenerierte Inhalte auf Webplattformen entfällt, wie Rauda schildert, der Entschädigungsanspruch, da das Rechtsverhältnis zwischen dem Urheber und dem Betreiber der Plattform per se bilateral unentgeltlich ist. Er schlussfolgert entsprechend:
„Es ist davon auszugehen, dass auf Grund der geringen Kosten für die Löschung von Werken im Internet der Dornröschenschlaf beendet und die Prinzessin wachgeküsst wird.“[11]
Man ist sich nicht sicher, ob man eine solche Entwicklung begrüßen sollte. Allerdings unterschätzt er die Nutzungspraxis so genannter Sozialer Software ein wenig, wenn er nur zwei Gründe feststellt, die ein Verwerter – in diesem Fall den Betreiber einer Plattform – gegen die Löschung von Inhalten nach § 42 UrhG vorzubringen vermag:
„Erstens stellen die Werke möglicherweise wertvollen Content dar, auf den der Verwerter nicht verzichten will. Viel relevanter ist jedoch in der Praxis der Aufwand, der mit entsprechenden Löschungen einhergeht. Für Internetplattformen ist es äußerst kostenintensiv, Personal zu beschäftigen, das die Löschung von Beiträgen durchführt.“ [12]
Er vernachlässigt hierbei, dass sich Kommunikation dieser Art nicht als Solitärereignis abspielt. Der Verwerter hat unter diesen Umständen noch ein ganz anderes Problem zu lösen: Im Kern der so genannten Sozialen Software steht nämlich die Facette der Verknüpfung und Einbindung. So wie in der Wissenschaft über den Rückruf eines Werkes möglicherweise eine Zitatkette unterbrochen würde und eine Belegstelle nicht mehr verifizierbar wäre, die Wissenschaft also in ihrem Vollzug behindert würde, kann die Löschung eines Einzelbeitrags durchaus andere Urheber betreffen. Dies gilt auch für digitale Soziale Netzwerke und je vernetzter die Kommunikationen, desto verzwickter wird das Herauslösen eines Einzelbausteins, der zurückgerufen werden soll.
Für die Wissenschaft wird der Aspekt freilich erst bei elektronischen Publikationen relevant, die extern gehostet durch die Bibliotheken als Lizenznehmer nur vermittelt werden. [13] Denn einer Bibliothek, die einen Inhalt nur lizenziert vermittelt, bleibt im Gegensatz zum Printexemplar keine weitere Bereitstellungsmöglichkeit für die Wissenschaft, es sei denn, sie kann auf alternative Speicherorte verweisen, die freilich rechtmäßig sein sollten. Da hilft es in der Praxis wenig, sich auf § 51 UrhG zu berufen.
Hier zeigt sich, wie unterschiedlich die Folgen von § 42 UrhG sind: Bei kommerziellen Angeboten mit stark reglementierten Zugangsmöglichkeiten wirkt ein Rückruf nahezu total und damit auch wissenschaftsfeindlich. Bei frei zugänglichen Inhalten im Web bleibt die Anwendung des Paragraphen de facto nahezu wirkungslos.
Die Depublikation als Notlösung?
Bei dynamisch aufgebauten Diskursportalen für die Wissenschaft, in denen die einzelnen Beiträge der Autoren quasi in ein nie abgeschlossenes kollaborativ erzeugtes Gesamtdokument münden, wären die Beeinträchtigung der Anwendung eines Rückrufs nach § 42 UrhG jedenfalls weitaus größer, als die zitierte Annahme Raudas vermuten lässt.
Entsprechend ist eine besondere Beachtung der Implikationen von Rückrufmöglichkeiten bei einer ausdifferenzierenden Konzeption von digitalen Kommunikationsumgebungen, wie z.B. IUWIS, geboten, wird es sich hierbei doch um den Vollzugsort für eine Diskursgemeinschaft handeln, dessen Stärke in weitgehender Relationierung sowie Verfügbarhaltung der Kommunikationsbeiträge liegt.
Sinnvoller als eine Löschung scheint in diesem Fall tatsächlich die Variante einer Depublikation, die eine Art Platzhalter an der Stelle eines zurückgezogenen Beitrags vorsieht. Das entspräche beispielsweise der Schwärzung von Textpassagen, die sich bei zurückgezogenen Sammelbandbeiträgen anbieten, sofern man den Rest des Bandes verfügbar halten möchte. Ein solcher Platzhalter enthielte bestimmte Metadaten zum Beitrag, die die Information einer Depublikation nach § 42 UrhG mit einschließen.
Befriedigen kann dies freilich kaum und es bleibt zu hoffen, dass die Anwendung der Rückrufvariante in digitalen Kommunikationsräumen wie IUWIS eine rare Ausnahme bleibt. Die Schwierigkeit, in diesem Zusammenhang überhaupt Anfang und Ende eines Inhaltsobjektes, das nicht mehr greifbar als Exemplar feststellbar ist, zu bestimmen, zeigt wiederum, wie notwendig eine Überarbeitung des Urheberrechtsgesetzes auf digitale Zusammenhänge hin ist.
Man kann gerade im Umfeld der nutzergenerierten Inhalte oft schlicht nicht mehr von Werkstücken oder Einzeltexten ausgehen. Es handelt sich um referenzierbare Knoten in Hypertextnetzwerken, die selbst – wie z.B. bei der Wikipedia – genuin auf andauernde Erweiterung und Veränderung angelegt sind.
Im Prinzip scheint § 42 UrhG in elaborierten digitalen Kommunikationsumgebungen nicht mehr zeitgemäß. Die vom Urheber angestrebte möglichst weitreichende Einschränkung der Nutz- und Verwertbarkeit des zurückgezogenen Werkes ist im Web zumeist nicht gegeben.
Lizenznehmer wie z.B. Bibliotheken werden jedoch dann maßgeblich benachteiligt, wenn ihnen die Nutzungsverträge mit den Anbietern das Anfertigen und vor allem die Vermittlung eigener Kopien untersagen. Sobald Zitatstellen nicht mehr nachweisbar sind, wird die Wissenschaftskommunikation behindert. Es lässt sich in diesem Zusammenhang natürlich auch überlegen, inwieweit hier möglicherweise Persönlichkeitsrecht und Wissenschaftsfreiheit kollidieren. In jedem Fall wird es für wissenschaftliche Bibliotheken unmöglich, ihren Auftrag voll zu erfüllen, wenn sie keinen Zugang mehr zu den betroffenen Inhalten anbieten können. Gerade für die Wissenschaftskommunikation scheint als die gegenüber dem Rückruf bessere Variante, dass Mitglieder einer Fachgemeinschaft, im Zweifelsfall die Irreversibilität dessen, was man getan hat, anerkennen. Es lässt sich nicht rückgängig machen kann. Auch nicht bei gewandelter Überzeugung.
So wünscht man sich, dass die Dornenhecke, entgegen Raudas Vorhersage eines erwachenden Interesses an § 42 UrhG, schwer passierbar bleibt. Denn die Prinzessin, die dahinter auf den erweckenden Kuss wartet, könnte ein ganz schönes Biest sein.
Fußnoten
[1] http://www.heise.de/tp/blogs/6/148447
[2] Dreier, Thomas; Schulze, Gernot: Urheberrechtsgesetz. Urheberrechtswahrnehmungsgesetz, Kunsturhebergesetz ; Kommentar. 3. Aufl. München, München: Beck; Beck-Online., § 42 UrhG, Rn. 16
[3] ebd., Rn. 18
[4] So die SUB Göttingen, vgl. http://www.sub.uni-goettingen.de/ebene_2/pub/epub.html.de , Punkt 6 der GOEDOC-Vertragsbedingungen – hier allerdings für Erstveröffentlichungen.
[5]Loewenheim, Ulrich; Dietz, Adolf; Schricker, Gerhard; Schricker-Loewenheim (2010): Urheberrecht. Kommentar. 4., neu bearb. Aufl. des von Gerhard Schricker bis zur 3. Aufl. hrsg. Werkes. München: Beck. § 42 UrhG, Rn. 15
[6] Rauda, Christian (2010): Der Rückruf wegen gewandelter Überzeugung nach § 42 UrhG. In: GRUR : Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Jg. 22, H. 1, S. 22–27.
[7] ebd.
[8] ebd.
[9] Dreier, Thomas; Schulze, Gernot: Urheberrechtsgesetz. Urheberrechtswahrnehmungsgesetz, Kunsturhebergesetz ; Kommentar. 3. Aufl. München, München: Beck; Beck-Online., § 42 UrhG, Rn.15
[10] vgl. LBR Rechtsanwälte (2010): Abmahnungen wegen Urheberrechtsverletzungen auf Twitter? In: LBR-Blog, http://www.lampmann-behn.de/lbr-blog/2010/09/abmahnungen-wegen-urheberrechtsverletzungen-auf-twitter/
[11] Rauda, 2010
[12] Rauda, 2010
[13] vgl. Loewenheim, Ulrich; Dietz, Adolf; Schricker, Gerhard; Schricker-Loewenheim (2010): Urheberrecht. Kommentar.§ 42 UrhG, RN 26
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Kommentare
Ergänzung
Weiterhin einschlägig und sehr gut lesbar zum Thema ist Klaus Grafs Urheberrechtsfibel (PDF-Volltext), S. 87.
Vielen Dank an Archivalia für den Hinweis.
Nachtrag
Nach einem weiteren Durchgang wurden im obigen einige Tippfehler behoben.